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Abendlandes‘“ ausgerichtetes Konzept zu verfolgen und im „Dienst der Schaf-
fung eines neuenÖsterreichs aus demGeiste [der]Vergangenheit“128 zu stehen.
Die Behandlung des Existentialismus bekräftigt diesen Ruf nicht. Nachdem
bereits in der 6. Nummer, im Jänner 1946, Camus’ „DerWind vonDjemila“ aus
der bis dahin noch nicht übertragenen Essay-SammlungNoces (1938) von dem
sehr produktivenÜbersetzer Josef Ziwutschka aufDeutsch erscheint, beschreibt
Stephano imFolgemonatdieBeliebtheitdesExistentialismus:Essei inAnbetracht
der gegenwärtigen „Weltkrise“ und „nach dem erschütternden Zusammenbruch
allerWerte,diebishergegoltenhatten,unddievielleichtnochamLebensind“129,
kaumerstaunlich, dass sichdieMenschenauf der SuchenachneuenMaßstäben
mitdieserPhilosophiebefassten.Stephano,der„demgroßenTalentundschöpfe-
rischen Philosophen“ Sartre und demWerk „dieses glänzendenAutors“wohlge-
sinnt ist, versteht es, die neue französische Strömung in die Wiener Tradition
durchdenVerweisauf ihrenUrsprunginderPhänomenologieeinzubetten:
Ohne sie hätte der Existenzialismusnie entstehenkönnen. Es ist einVergnügen für uns,
diese Philosophie gerade in jener Stadt zu beschwören,wo sie ihre fernenWurzeln hat.
Erinnernwir uns, daßHusserl einstmals hierwar als Schüler zweier großerMeister, des
LogikersBrentanounddesMathematikersWeyerstraß [!].130
Der Philosophie-Professor und Hegel-Übersetzer Jean Hyppolite berichtet dem
Turm imMärz 1946vonseinenEindrückenausTirol,woerbeidenUniversitäts-
wochen inSt.ChristophamArlbergmit französischenundösterreichischenStu-
dierendenüber das Thema „Wahrheit und Existenz“ diskutiert hat: „Besonders
vielwurdenachderPhilosophie JeanPaulSartresgefragtundnach ihrenBezie-
hungenzuder PhilosophieHeideggers, gefragt auch,warumdieExistenzialphi-
losophie Sartres zu einer politischen Bindung nach links neige“131, nachdem
SartrealsPopularisiererdesnicht sonderlich linkenSeinundZeit-Verfassersgilt.
Auch kündigt sich in diesemBericht die Anziehungskraft eines anderenAutors
an, „aminteressantesten“ seidieDiskussion „überdenMarxismusundden reli-
giösenExistenzialismus,denGabrielMarcels“132,gewesen.
128 Englerth, Gausterer undKaukoreit: Österreichs Literaturzeitschriften 1945–1990 imÜber-
blick,S. 12.
129 Stephano:DerExistenzialismus inFrankreich,S. 175.
130 Stephano:DerExistenzialismus inFrankreich,S. 175, 176.
131 J. Hyppolite: Der Ruf vondraußen. III. Das Philosophie-Gesprächmit Frankreich. In: Der
Turm1 (1946),Nr. 8,S. 221–222,hierS. 221. ZuBrentanosundHusserlsZeit inWiencf.Helmut
Vetter: Brentano und Husserl. Mit Blick auf ihrenWiener Aufenthalt und einem Seitenblick
aufFreud. In:Austriaca14 (1989),Nr. 28,S.43–58.
132 Hyppolite:DerRufvondraußen,S.221f.
4.3 Zeitschriften,Buchmarkt,Übersetzungen 89
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur