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5 DerExistentialismusalsSubkultur
Nun ist ziemlich undenkbar, daß etwa Bergson Lieder für die Mistinguette geschrieben
hätteoderdaßMaxScheler einemGasthausgestattet hätte, seinenNamenalsunsichtba-
resAushängeschildzubenutzen! HannsMayer,„MetaphysikundBee-Bop“.
5.1 Modeundmodedevie:VonSt.Germain-des-Prés
zum„Strohkoffer“
Der „Menschals Inbegriff seinerMöglichkeiten“1, demalleindieVerantwortung
für sein Tun obliegt, entspricht nach Ende des ZweitenWeltkriegs nicht nur in
FrankreichdenaufNeuanfang stehendenZeichender Zeit, sondern, soKarl Jas-
pers1951 inderSchweizer Illustrierten, auch„inderbreitenWelt“, jedoch:„Ohne
Sartre wäre die Sache auf engere Kreise beschränkt geblieben. Sie machte als
Modeerstvonsich reden,alsderDichter sievertratund inseinemdichterischen
Werk ihr Sprache gab.“2 Bevor sichweite Teile diesesWerks in Übersetzungen
zwischendenKulturenvermitteln lassen,passiertbereitsdermitdemExistentia-
lismusverbundeneSprach-,Kleidungs-undLebensstildieGrenzen.
DurchPeriodika transferierteSchlüsselwörterwie„Entscheidung“,„Sinnlosig-
keit“, „Freiheit“, „Verantwortung“ greifen bald genügend auf den allgemeinen
Sprachgebrauchüber, umdenKern zahlreicher Parodien zubilden (cf. Kap. 8.2).
Der Grundtenor lässt sich an Erich Kästners Miniatur „Ist Existentialismus heil-
bar?“ ablesen, deren Ich sich einige Tagemit existentialistischenBüchern in ein
Gebirgstalzurückzieht,umdasallgegenwärtige„Donnerwort“mit Inhaltzufüllen,
im Zustand fortgeschrittener Verwirrung jedoch nur Rettung findet im Satz: „‚Im
Grundehat dasWort Existentialismusheute einen solchenUmfangund eine sol-
cheAusdehnungangenommen,daßesüberhauptnichtsmehrbedeutet!“3Kästner
zitiert hier eineAussageausSartres Ist der Existentialismus einHumanismus?, die
lautet,„imGrundehatdasWortheuteeinensolchenUmfangundeinesolcheAus-
dehnungangenommen,daßesüberhauptnichtsmehrbedeutet“4.DerBegriff be-
zeichnetzuSartresundBeauvoirsLeidwesennichtnureineuneinheitlicheGruppe
1 RobertMusil:DerMannohneEigenschaften.Hg.vonAdolfFrisé.Reinbek2014,S. 251.
2 Karl Jaspers: Was ist Existentialismus? In: Jaspers: Aneignung und Polemik. Gesammelte
Reden und Aufsätze zur Geschichte der Philosophie. Hg. von Hans Saner. München 1968,
S.497–501,hierS.497. [Zuerst in:Schweizer Illustrierte40(1951),Nr. 18.]
3 Erich Kästner: Ist Existentialismus heilbar? In: Kästner: Die kleine Freiheit. Chansons und
Prosa1949–1952.München1989,S.67,71f.
4 Jean-PaulSartre: IstderExistentialismuseinHumanismus?Zürich1947,S. 10.
OpenAccess.©2021 JulianeWerner,publiziert vonWalterdeGruyter. DiesesWerk ist
lizensiertuntereinerCreativeCommonsNamensnennung4.0 InternationalLizenz.
https://doi.org/10.1515/9783110683066-005
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur