Page - 157 - in Existentialismus in Österreich - Kultureller Transfer und literarische Resonanz
Image of the Page - 157 -
Text of the Page - 157 -
Abgesehen von einigen experimentellen Erzählungen (etwa der AutorenWalter
Toman,ClausPack,AntonHegnerundErichFried) fallendievonWeigelgrund-
sätzlich„ohneallepolitischen,weltanschaulichenundstilistischenHintergedan-
ken“52 ausgewählten Texte der Anthologie jedoch eher konventionell aus, die
jungenBeiträgerInnen(wieHerbertEisenreich,HermannFriedl,MarlenHausho-
fer, Herbert Zand, Karl Bednarik, Milo Dor und Reinhard Federmann) suchen
zwar nachneuenFormen, halten abermeist „ander traditionellen Erzählgram-
matik“53 fest. Weber vermutet, dass die generelle „Avantgarde-Feindlichkeit“54
derStimmenderGegenwart ihrenGrund imEinflussdesdemSurrealismusnega-
tiv gegenüberstehenden Existentialismus haben könnte (cf. Kap. 6.4). Die von
Weigel erwähnten unartikuliertenAufschreie jedenfalls seienweniger „Bewälti-
gungundGestaltungderWirklichkeit“ als Symptome von „Weltangst undRea-
litätsflucht“, die noch augenfälliger in dem „etwas dünneren Aufguß“ der
zweitenGenerationwürden, soder JournalistOttoF.Beerüberdie sich ihmdar-
bietende „Scheinwelt“: „Kafka spukt durch diese Seiten.“55 Für bedenklich hält
in den Stimmen der Gegenwart selbst HansHeinzHahnl diesen Trendder auch
vonSartreabgelehntenKafka-Imitationen:56
Sogibtesheute,wieesvor 150 JahreneineWertherkrankheitgab,eineKafka-undOrwell-
seuche.Viele jungeAutoren–auchsehrbegabteundsolche,die fähigsind,einenerlebten
Gedankensoauszusprechen,daß ihneinandererneuerlebenkann–verfallenderVersu-
chung, ihreSkepsis, ihreVerlorenheitundWeltangstà laKafkaundOrwellauszusprechen,
inderenWerk,Kafkasvor allem, […] sie sichwiederzuerkennenglauben. […] InderNach-
ahmunggewissernihilistischerundpessimistischerSchilderungeneinesKafkaoderOrwell
[…] entsteht wie bei jeder Nachahmung ein Automatismus. Angst um der Angst willen,
52 HansWeigel:Vorbemerkung. In:StimmenderGegenwart, 1953,S. 5–6,hierS. 5.
53 Kriegleder:DieLiteraturder fünfziger Jahre inÖsterreich,S.39,46.Diesgiltumsomehr für
die älteren NachkriegsschriftstellerInnen, wie Ernst Waldingers Gedicht „Kafka in Kierling“
veranschaulicht, dessen erste Strophe lautet: „Es ergreift mich weh und sonderbar, /Wenn
des neuenHiobs ich gedenke, /Daß imDorf in seinemSterbejahr / ZwischengrünenHügeln
inder Senke / So er litt,wo ich einst glücklichwar.“Waldinger: Kafka inKierling. In: Joseph
Strelka (Hg.):DaszeitloseWort.EineAnthologieösterreichischerLyrikvonPeterAltenbergbis
zurGegenwart.MiteinemNachwortvonErnstSchönwiese.Graz,Wien1964,S.87.
54Weber:StimmenderGegenwart, eineAnthologie,S. 25.
55 OttoF.Beer: ImmernochKafka…BemerkungenzueinerAnthologie. In:DieZeit, 13.08.1953.
56 „Kafka imitiert man nicht, schreibt man nicht neu:manmußte aus seinen Büchern eine
kostbareErmutigungschöpfenundwoandersweitersuchen.“ („Onn’imitepasKafka, onne le
refait pas: il fallait puiser dans ses livres un encouragement précieux et chercher ailleurs.“)
Sartre:Was istLiteratur?,S. 175. (Sartre:Qu’est-ceque la littérature?,S. 227.)
6.1 Verflechtungen:KafkaundderneueKanon 157
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur