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In zahlreichen Stimmen der Gegenwart-Texten erscheint die Welt „welk und
grau“148,„zartgrau“149 imgünstigstenFall.Ausder„Sinnlosigkeit“blickenFigu-
ren „mit leerenAugen“: „Siehatten sichmit allemabgefunden, sowiemanmit
zuBodengesenktemGesicht hinter einemLeichenzugdahintrottet unddieErd-
klumpen, die andere schon zertreten haben, verträumt mit dem Fuß beiseite
schiebt.“150DieSymbolikverrät:DerKrieghatnichtnurMillionenTotegefordert,
sondernauchunterdenLebenden„viele toteGesichter“151hinterlassen.
Dieunteranderem1953vonHerbert ZandskizzierteHaltlosigkeit vonFigu-
ren,„ausgesetzt zwischeneinerWelt, vonder [sie]bereitsAbschiedgenommen
hatte[n], und einer anderen Welt, zu der es noch keine Brücke gab“152, ent-
sprichtderexistentialistischenGrundstimmungdesdélaissement,dieSartrede-
finiert als desMenschen Einsicht, dass er auf Erden verlassenundhilflos und
vollverantwortlichaufsichselbstgestellt ist („qu’il est seuldélaissésur la terre
aumilieu de ses responsabilités infinies, sans aide ni secours, sans autre but
que celui qu’il se donnera à lui-même, sans autre destin que celui qu’il se for-
gerasurcette terre“153). InHumbertFinks„GegendenStrom“wohntderVerlas-
senheit ganz indiesemSinneauch„derMutderVerzweiflung,dienichtsmehr
zuverlierenhat“154, inne.UnterVerzweiflung,der zweitenGrundstimmungder
Trias Angst, Verzweiflung und Verlassenheit (angoisse, désespoir, délaisse-
ment), versteht Sartre das Handeln(müssen) ohne Hoffnung („agir sans es-
poir“155) und Sicherheiten („conjecturer sans preuves, entreprendre dans
l’incertitudeetpersévérer sansespoir“156).Noch imletzten JahrgangderAntho-
logie Stimmen der Gegenwart 1956 dominieren „dumpfe Verzweiflung“, aber
auch „messerscharfe Angst“157 viele Texte: „Es geht viel Angst um / in diesen
Stunden. /Angst / indenbeschriebenenZeiten /der StädteundGräber.“158 In
der Angst schließlichwird das Individuumseiner Freiheit undVerantwortung
gewahr, doch unterstreicht Sartre, Pascal paraphrasierend, dass sie dennoch
nicht hemmt: „DieAngst ist keineswegs einHindernis für dasHandeln, sondern
148 MichaelGuttenbrunner:ZuNebelwarddieWelt. In:StimmenderGegenwart, 1952,S. 13.
149 HerbertZand:Niemandszeit. In:StimmenderGegenwart, 1953,S.32–36,hierS.33.
150 HermannStöger:DieVerlobung. In:StimmenderGegenwart, 1953,S. 28–30,hierS.30.
151 HumbertFink:GegendenStrom. In:StimmenderGegenwart, 1953,S. 72–75,hierS. 74.
152 Zand:Niemandszeit,S.32.
153 Sartre:ÀProposde l’existentialisme,S.656.
154 Fink:GegendenStrom,S.74.
155 Sartre:L’Existentialismeestunhumanisme,S.48.
156 Sartre:Qu’est-ceque la littérature?,S. 225.
157 PaulBlaha:DerVorabend. In:StimmenderGegenwart, 1956,S.7–20,hierS. 10.
158 AloisHergouth:WortausderZeit. In:StimmenderGegenwart, 1952,S. 125.
6.3 LiteraturunterdemGalgen:Grenzsituationen 173
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur