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Hermann Schreiber im Plan: Er sekundiert Sartre („dessen hohe Qualitäten als
DichterundSchriftstellerhiernichtzurDebattestehen“),dassman„seinSchick-
sal in seiner Epoche zu erblicken habe“302. Dies gilt nachAnsicht des aus dem
Schweizer Exil zurückgekehrten HansWeigel besonders für die ÖsterreicherIn-
nen in ihrer„seltsamen,vielleichtglückhaftenundverpflichtendenZwischensta-
tion zwischen Siegern und Besiegten“; gerade sie stünden in der „Pflicht, das
Gebot der Zeit richtig zu erkennen“303. Einige BeiträgerInnen ausWeigels Stim-
men der Gegenwartwie etwa Jeannie Ebner richten sich gegen das Diktat, sie
mögenaus ihrer Zeit schöpfenund ihre LiteraturmögederGesellschaft dienen;
siewehren sich zugleich gegen denmitschwingendenVorwurf, die „Verfechter
der reinenKunst“würden sich „denAufgaben ihrer Zeit entziehenundaus der
Realitätzu flüchtensuchen“304.Unwohl fühlt sichauchderüberwiegendjourna-
listisch tätige Hans Heinz Hahnl damit, dass sich die jungen DichterInnen zu
ihrer Zeit „bekennenmüssen“305,wenngleichAndreasWeber ihn–undHerbert
Eisenreich–als auffallendexistentialistischgeprägt ausweist:Generellwerde in
der Anthologie „eine geradezu orthodox-existentialistische Ambition deutlich“,
eine„Art ‚Austro-Existentialismus‘aufderBasis eines eher inkonsequentenSar-
tre/CamusHalbverständnisses“, dessen Ziel, so deutetWeber an, eine beschrei-
bende Literatur sei, die „Darstellungsformen für das ‚Wesen(tliche)‘ sucht und
Fragen stellt, ohne sich Antworten anzumaßen“306. Der Nutzen eines solchen
Schreibenserschließt sichHahnlnacheigenenAussagennurbedingt, zumalge-
genübereinerdesinvolviertenLeserInnenschaft:
Man fordert von ihm [dem jungen Autor], daß er eine soziale Funktion erfülle und ist ent-
täuscht, wenn er, in diesemgesellschaftlichen Chaos undmit einemungeistigen Kino- und
Fußballpublikum,dasjedeRegung,dieüberdieBequemlichkeitgeht, ignoriert,einEinzelgän-
gerwird.Manstellt ihmöffentlicheAufträge (oder tut so),dievonder Ignoranzderschöpferi-
schenEntwicklungunddemGeistdes JournalismusundderPropagandadiktiertsind,undist
enttäuscht,wenndieseAufträgeodervielmehrAufrufekeinenWiderhall finden.307
Mag das SchriftstellerInnen-Dasein auch „eine seltsame, absonderliche Art zu
existieren, asozial, einsam, verdammt“308 seinundungehört bleiben, ist es für
302 Hermann Schreiber: Der Bruchmit dem Intellektualismus. In: Plan 1 (1946/47), Nr. 12,
S.929–937,hierS.933.
303Weigel:DasverhängteFenster,S. 397.
304 Ebner:DerKünstlerunddieWelt,S. 148.
305 Hahnl:ZurSituationderLiteratur,S. 21.
306Weber:StimmenderGegenwart,eineAnthologie,S. 24.
307 Hahnl:ZurSituationderLiteratur,S. 23f.
308 IngeborgBachmann: [Rede zur VerleihungdesAnton-Wildgans-Preises]. In: Bachmann:
Werke,Bd.4,S. 294–297,hierS. 294.
6.4 LittératureengagéezwischenSprachskepsisundEngagement 205
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur