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déjà la maîtrise d’eux-mêmes“382). In den Besatzungsorganen Kulturelles und
Geistiges Frankreich ist der Surrealismus kaumThema, durch den engenKon-
takt zu Frankreich erscheint er als im Rückgang befindlich („en période de
repli“383), während seine Präsenz in unabhängigen österreichischen Periodika
jener des Existentialismus nicht nachsteht. Auch wenn er „eine Auslaufsa-
che“384 und „in Paris schon längst in die Jahre gekommen“ sei, eine „Sack-
gasse[]“ unter den künstlerischen Entwicklungen, diene er AutorInnen wie
Artmann,RühmundOkopenko„alsSpielwiese ihrerersten literarischenVersu-
che“, ungeachtet der von Blaeulich angeführten Tatsache, dass „schon längst
andereRichtungendominierten. IchdenkedaanCamus,Beckett, Ionescu,Sar-
treoderdie ‚Gruppe47‘“385.
Die zeitversetzteAufnahmedesSurrealismus inÖsterreich ist auch insofern
hervorhebenswert, alsdieStrömung indenZwischenkriegsjahrenschonaufSar-
tre–wenngleich „à distance“386 gehalten– einen gewissen Einfluss hatte, wie
etwadie bildlichenTraumszenen in LaNausée (1938) verdeutlichen.Die Erzäh-
lungL’Enfanced’unchefvon 1939macht einenpsychoanalytischversiertenSur-
realisten („qui était très versé dans la psychanalyse“387) ebenso verächtlichwie
einen Jugendlichen,derécritureautomatique-Gedichtekreiert–erschaffen,nach
Breton, ohne jede Kontrolle durch die Vernunft und frei von ästhetischen oder
moralischenAnliegen(„en l’absencede toutcontrôleexercépar la raison,ende-
hors de toute préoccupation esthétique oumorale“388). Indem sich Schriftstel-
lerInnenhinter der écritureautomatiqueundderVernichtung ihrer Subjektivität
versteckten, stützten sie sich auf ein Prinzip totaler Verantwortungslosigkeit,
wertetSartre inseinerausführlichenAnalyse inQu’est-ceque la littérature?.389Er
hingegensetztalskonstruktiveMethodeaufdieEntmystifizierungvonBegriffen,
umdiekommunikativeFunktionderSprachezurückzugewinnen:
DieFunktioneinesSchriftstellersbestehtdarin,dieDingebeimNamenzunennen.Wenn
dieWörter krank sind,dann ist es anuns, sie zuheilen. Statt dessen lebenviele vondie-
ser Krankheit. Diemoderne Literatur ist in vielen Fällen ein Krebsgeschwür derWörter.
[…] Ichweiß:mancherAutorhatdieWörterzerstörenwollen, sowiedieSurrealistenSub-
382 Sartre:LaNationalisationde la littérature,S.37.
383 Sartre:Qu’est-ceque la littérature?,S.304.
384 Blaeulichetal.:Wie’s„wirklich“war,S. 182.
385 Blaeulich:Zirkel,Kreise,TreffpunktederösterreichischenLiteraturnach1945,S. 151.
386 Sartre:Sartre,S. 37.
387 Sartre:L’Enfanced’unchef,S. 52.
388 André Breton: Manifeste du Surréalisme (1924). In: Breton: Manifestes du Surréalisme,
S.40.
389 Sartre:Qu’est-ceque la littérature?,S. 183f., 140.
6.4 LittératureengagéezwischenSprachskepsisundEngagement 219
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur