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jektundObjekt gemeinsamzerstörenwollten:daswarder äußerstePunktderKonsumti-
onsliteratur. Aber heute mußman, wie ich gezeigt habe, konstruktiv sein. Wennman
nicht anfängt, […] die Unangemessenheit der Sprache gegenüber der Realität zu bekla-
gen, macht man sich zum Komplizen des Feindes, das heißt der Propaganda. Unsere
ersteAufgabeals Schriftsteller besteht alsodarin, die Sprache in ihrerWürdewiederher-
zustellen. Schließlich denkenwirmitWörtern.Wirmüßten sehr dünkelhaft sein, umzu
glauben, daßwir unaussprechliche Schönheiten bergen, die die Sprache auszudrücken
nichtwürdig ist. […]WennwirdenWörtern ihreFähigkeitenwiedergebenwollen,müssen
wir eine doppelte Operation durchführen: einerseits eine analytische Reinigung, die sie
von ihrem hinzugetretenen Sinn befreit, andrerseits eine synthetische Erweiterung, die
siederhistorischenSituationanpaßt.390
(La fonctiond’unécrivainestd’appelerunchatunchat. Si lesmots sontmalades, c’est à
nous de les guérir. Au lieu de cela, beaucoup vivent de cettemaladie. La littératuremo-
derne, enbeaucoupdecas, estuncancerdesmots. […] Je sais: leproposdemaintauteur
a été de détruire lesmots, comme celui des surréalistes fut de détruire conjointement le
sujet et l’objet: c’était l’extrêmepointede la littératurede consommation.Mais aujourd’-
hui, je l’aimontré, il faut construire. Si l’on ne semet à déplorer […] l’inadéquation du
langageà la réalité, on se fait complicede l’ennemi, c’est-à-direde lapropagande.Notre
premierdevoird’écrivainestdoncde rétablir le langagedans sadignité.Après toutnous
pensonsavecdesmots. Il faudrait quenous fussionsbien fatspour croirequenous recé-
lonsdesbeautés ineffablesque laparolen’est pasdigned’exprimer. […] Si nousvoulons
restituer auxmots leurs vertus il faut mener une double opération: d’une part un net-
toyage analytique qui les débarrasse de leurs sens adventices, d’autre part un élargisse-
mentsynthétiquequi lesadapteà lasituationhistorique.)391
Diesen Weg, der beispielsweise auch in Wolfgang Borcherts „Manifest“ an-
klingt, demzufolge esDichterInnenbraucht, die „zuBaumBaumund zuWeib
Weib sagenund ja sagenundnein sagen: laut unddeutlich unddreifach und
ohneKonjunktiv“392, schlägt auchdieKahlschlagliteraturder „Gruppe47“ein.
SieverfolgtdieReinigungderSprachemit einemknappen,harten, asketischen
Stil, so Fischer, und „richtet sich gegendie ‚Kalligraphie‘der Inneren Emigra-
tion“und„dieverbrauchte, vonderRealitätdenunzierteSpracheunddieüber-
kommenen Ideen der literarischen Tradition.“393 Das Neue in der Literatur,
formuliert ähnlichBachmann, sei „keinBuchstabenexperiment, nicht kalligra-
phischeMutproben, sonderneineRadikalität, die imDenken liegtundbis zum
390 Sartre:Was istLiteratur?,S. 216f.
391 Sartre:Qu’est-ceque la littérature?,S. 281f.
392Wolfgang Borchert: Das ist unser Manifest. In: Borchert: Das Gesamtwerk. Hg. vonMi-
chael Töteberg unterMitarbeit von Irmgard Schindler. Reinbek 2007, S. 517–524, hier S. 519.
[Zuerst in:DerPhönix1948.EinAlmanachfür jungeMenschen.]
393 Fischer:ZurGeschichtederdeutschsprachigenLiteraturzeitschriften1945–1970,S. 13.
220 6 StimmenderGegenwart:ExistentialistischeLiteratur
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur