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UniversitätsprofessorInnenseitNapoleonein,wieCollins inTheSociologyofPhi-
losophiesausführt,hin zuden„examinersof secondary school leaversandcerti-
fiersof teachers“, ineinemBildungssystem,dassichumdenErhaltderKlassiker
bemüht,nichtumInnovation:„Success insuchcareersmeantadheringtoacon-
servative intellectual canon, concentratingone’s scholarly activity onproducing
manualsor translationsandeditionsof theclassics; itwasacceptable topublish
little or nothing.“23Sartres Laufbahn verläuft wie vorgesehen, mit dem Besuch
der ÉcoleNormale Supérieure, gefolgt von JahrendesUnterrichtens anGymna-
sien, bevor er aus dem System aussteigt und freischaffender Philosoph und
Schriftsteller wird: Der Bruch, den er in seinem eigenen Leben vollzieht, sorgt
nach Bourdieus Einschätzung für eine erhebliche Umwälzung des philosophi-
schenFeldesundseinerBeziehungenzuanderenFeldern („untrèsgrandboule-
versementduchampphilosophiquedans son rapport avec lesautres champsde
production“24), vor allemdurchbreche Sartre diewichtigsteAbgrenzungdes in-
tellektuellenLebensdes 19. Jahrhunderts: denGegensatz zwischendeneher lin-
ken normaliens, die LiteraturkritikerInnen werden, aber sich literarisch nicht
betätigen,undden finanziell sorgenfreienLiteratInnen,die aushöherenSchich-
tenstammenundeherkonservativeingestellt sind.
Der Denker-Schriftsteller, Romancier-Metaphysiker und KĂĽnstler-Philosoph
Sartre („penseur écrivain, romanciermétaphysicien et artiste philosophe“) sorgt
dafür, dass die Philosophie neuen Einzug in die Literatur hält (mit philosophi-
schenTheaterstĂĽcken, RomanenundKritiken), fĂĽhrt aber zugleich tiefgreifende
Veränderungen („deschangementsassezprofonds“) imphilosophischenSchrei-
ben herbeimit seinem literarischen Stil („écriture philosophique d’allure littér-
aire“) und auch mit der Behandlung literarischer Objekte wie beispielsweise
einesKellners innerhalbphilosophischerAbhandlungen („legarçondecafé, c’é-
tait impensable sous la plumedeLéonBrunschvicg“25). Bourdieu spielt auf das
L’Êtreet leNéant-Kapitel zurUnaufrichtigkeitan, indemSartreseinKonzeptder
mauvaise foiunteranderemaneinemOberveranschaulicht, derdurchseinAuf-
tretenvordenKaffeehausgästenmitderverbreitetenVorstellungvoneinemOber
zukoinzidierenundsomitganzinseinerRolleaufzugehenversucht.26
23 Collins:TheSociologyofPhilosophies,S.761.
24 Bourdieu:LeFonctionnementduchampintellectuel,S. 14.
25 Bourdieu:LeFonctionnementduchampintellectuel,S. 14,22.
26 Beidermauvaise foiglaubt sichderMensch imBesitzvonQualitäten,dieseinSeinausma-
chen,und realisiertdiesedurch IdentifikationundKonformismus.Eshandelt sich folglichum
eineTäuschung,diedieDualitätausLügenundBelogensein insofernüberwindet,alsdiemau-
vaise foi gegendie eigene Person gerichtet ist; es gehe darum, „eine unangenehmeWahrheit
zuverbergenodereinenangenehmenIrrtumalsWahrheithinzustellen“ („demasquerunevé-
236 7 DiePhilosophiedesExistentialismus inForschung,LehreundKritik
Existentialismus in Ă–sterreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Ă–sterreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur