Page - 242 - in Existentialismus in Österreich - Kultureller Transfer und literarische Resonanz
Image of the Page - 242 -
Text of the Page - 242 -
solche Einschätzung lautWalter vanRossumdurch eine irreführendeÜbertra-
gungvonSartresTerminologienochnäher:
Die Probleme des philosophischen Stils rühren zumTeil daher, daßman auf Sartre An-
fangder fünfziger Jahre inDeutschland schlicht unvorbereitetwar.Deshalbhatman ihn
wirklicheingedeutscht,undwasbotsichdamehran,als ihn indieNähezuHeideggerzu
bringen. Schließlichbezieht sichSartre ausdrücklich aufHeidegger underlaubt sich ter-
minologischeAnleihen.Das ist aber auchalles.Heideggerhat sich zuRecht bei derVor-
stellung gekrümmt, mit Sartre verwechselt zu werden. Und Sartre verdankt Heidegger
vieles, vor allem:weit über ihn hinausgehen zu können. Aberweder die populäre noch
die fachphilosophische Sartre-Rezeption kam über den Bannkreis des Zauberwortes
„Existentialismus“hinaus.Unddaswar inden50er Jahrenebenstarkdeutscheingetrübt:
die Migräne der frommen Seelen, die die wahre Schuld nicht denken konnten. Und so
reichte es, allepaarSeitenmal etwasvomTypus„wesendesWesen“ in einenText einzu-
streuen, und schonwar die ganze Luzidität Sartres vergiftet. Manwitterte sogleich das
numinose Seindes Seienden, das Sartre nicht die Bohne interessierte, unddeshalbwest
bei ihmauchgarnichts.SartrewarvollkommenresistentgegenüberderspekulativenOn-
tologieHeideggers–seineerstenÜbersetzerweniger.60
Für JeanAmérysetztdieseSprachverwirrungeineEntwicklung fort, diemitder
Rezeption deutschsprachiger Phänomenologie und Existentialphilosophie in
Frankreichbeginnt,welche seit der JahrhundertwendevonGroethuysen,Aron,
Koyré, Gurwitsch, Kojève und Lévinas vermittelt wird und in französischer
Übersetzung imdortigenphilosophischenFeldetwasvölligNeuesdarstellt:61
Gedankenlinien, erstmals in Deutschland gezogen […], werden in Frankreich weiterge-
führt, dort umgeprägt, umgebogen, kehren zumeistmit einerVerspätung von etwa fünf-
zehn Jahren nach Deutschland zurück und werden daselbst als modernistischer
Exotismusenthusiastischempfangen.62
Was transfertheoretischbetrachtet ein eindrücklicher Belegdafür ist, dassAkkul-
turationsprozesse nicht voraussetzungslos verlaufen, sondern vielmehr Resultat
früherer Vermittlungen („le résultat de déplacements antérieurs“63) sind,
sieht Améry als eine „auf gegenseitigen Mißverständnissen beruhende, vor
allem durch Unkenntnis der je anderen Sprache bedingte Dialektik der
deutsch-französischen Beziehungen“64. Das sich daraus ergebende „diffuse
[…] ‚Kategorienkonglomerat‘“65 und die „ungewohnte Sprechweise“ tragen
60 VanRossum:VonderRettungslosigkeitdesMenschen. In:DieZeit,07.02.1992.
61 Badiou:L’Aventurede laphilosophie française,S. 13f.
62 Améry:EinneuerVerratder Intellektuellen?,S. 166.
63 Espagne:LaNotionde transfertculturel,S. 3.
64 Améry:EinneuerVerratder Intellektuellen?,S. 166.
65 Rahner: Jean-PaulSartrealsModelldes Intellektuellen,S.321.
242 7 DiePhilosophiedesExistentialismus inForschung,LehreundKritik
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur