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Von den französischen KulturredakteurInnen ebenfalls positiv hervorge-
hoben wird der Gabriel Marcel nahestehende christlich-marxistische Esprit-
Herausgeber Emmanuel Mounier. Mounier gehört laut Kulturelles schon zu
den„Existentialisten, als Sartrenochunbekanntwar“125. SeineLehredesPer-
sonalismus beschreibt Jacob als „Existentialismus eines Christen, der eine
Würdigung sowohl des atheistischen wie des katholischen Existentialismus
ermögliche,und jederPhilosophieüberhaupt,deresumdenMenschen insei-
ner konkreten Gesamtheit gehe.“126 Mounier errege Aufsehen in Österreich
„nicht alleinwegen des Interesses, dasman der existentialistischen Philoso-
phie seit einigen Jahren entgegenbringt, sondern auchwegen der Persönlich-
keit des Vortragenden.“127 Als er 1950 unerwartet stirbt, heißt es in Geistiges
Frankreich: „Dieswar einMann: nicht ein ‚Prominenter‘, sondern einMann, ein
Kämpfer für und gegen seine Zeit.“128Womöglich versetzt Jacob dem ansonsten
eherwohlwollendporträtiertenSartredamit einenSeitenhieb,nachdemdieGunst
desPublikums für denExistentialismusausder PerspektivedesBesatzungsbulle-
tins seit der IndizierungderWerkeSartresdurchdenVatikan (1948Sartresopera
omnia, 1956 folgenSimonedeBeauvoirsLesMandarinsundLedeuxièmeSexe) im
Schwindenbegriffen ist; Sartrehätte damit „jeneLesergemeindeverloren, die zu-
nächstdasstärksteInteresse für ihnbekundete“129.
Dassdies–wieauchdieMeinung,dieTheologie tragegenerell „wenig zur
Sartre-Rezeption“130 bei – nur bedingt zutrifft, belegt die fortgesetzte (wenn-
gleich kritische) Berichterstattung in Literatur- und Kulturzeitschriften des
‚champ religieux‘, etwa inder 1945vonFriedrichFunder gegründetenWochen-
zeitungÖsterreichische Furche, die Sartre zeitweise „amheftigsten“131 angreift.
125 o.V.:EmmanuelMounier. In:Kulturelles,31.01.1949.
126 A. J.: Unsterbliches Opfer. Zum Tode Emmanuel Mouniers. In: Geistiges Frankreich,
03.04.1950.
127 o.V.:EmmanuelMounier. In:Kulturelles,31.01.1949.
128 A. J.:UnsterblichesOpfer. In:GeistigesFrankreich,03.04.1950.
129 o.V.:FranzösischeLiteratur inösterreichischenVerlagen. In:Kulturelles, 27.06.1949.
130 GregorMariaHoff: Stichproben:Theologische Inversionen. SalzburgerAufsätze. (Salzburger
Theologische Studien 40.) Innsbruck 2010, S. 133. Hoff, demzufolge „der schematisch vorgetra-
geneNihilismus-Vorwurf“ eine „pünktliche Auseinandersetzungmit Sartre“ (S. 149) verhindert,
siehtdieseAblehnung ineinemgrößerenZusammenhang:„AnderStellungnahmezuSartre, ge-
nauer: anderNotwendigkeit ihn zuverschweigen, ihndemeigenständigenUrteil derGläubigen
zu entziehen, dokumentiert sich die Unfähigkeit des theologisch-kirchlichen Antimodernismus,
denkritischenAnfragewertdes freiheitsbewusstenSubjektdenkens internzubestimmen.DerFall
SartrehatvondaherNennwert füreineepochaleEpochenverweigerung,die imAugenblickdieses
Richterspruchs auf das Ende ihrer Selbstverweigerung zusteuert, weil sie sich nicht mehr am
Lebenerhaltenlässt.“ (S. 133, [HervorhebungimOriginal]).
131 Porpaczy:Frankreich–Österreich,S. 228.
7.3 KatholischeKritikoder:DerExistentialismusalsNihilismus 255
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur