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InexistenzGottes zu ziehende äußersteKonsequenz, die Sartremit demanHei-
deggers Geworfenheit angelehnten Begriff délaissement (das „in seinemWoher
undWohin“157 verhüllte In-der-Welt-Sein) umschreibt, ist, dass jedeMöglichkeit
verschwindet,Werte in einem intelligiblenHimmel aufzutun.Ohne ein sie den-
kendesunendlichesundvollkommenesBewusstsein („conscience infinie et par-
faite“) existiere keine allgemeingültige Moral, kein apriorisches Gutes („bien
apriori“158).Anlässlichseines theologischgefärbten,zurZeitderBauernkriege in
DeutschlandspielendenStücksLeDiableet leBonDieugefragt,obersichsicher
sei, dass es keinen Gott gebe, antwortet Sartre: „Ich bin überzeugt davon.“159
Nebendieser„VerleugnungGottesunddesGuten“160verblasst seinwiederholter
Hinweis,dassdieExistenzGottesnichtsanseinemKonzeptändernwürde,da ja
in dem Fall Gott selbst das menschliche Bewusstsein als Freiheit erschaffen
hätte.161 ImStückLesMouchesbeispielsweiseerklärtOrest seinemSchöpfer Jupi-
ter, dassdieser ihn frei geschaffenhabe,wodurch er ihmbereits nichtmehrge-
höre („[m]ais il ne fallait pasme créer libre […]. A peinem’as-tu créé que j’ai
cessédet’appartenir“162).
157 Heidegger:SeinundZeit,S. 135.
158 Sartre:L’Existentialismeestunhumanisme,S.38.
159 o.V.:SartreantwortetderKritik. In:GeistigesFrankreich,09.07.1951.Cf. Jean-PaulSartre:
DerTeufelundder liebeGott.DreiAkteundelfBilder.NeuübersetzungvonUliAumüller. (Ge-
sammelteWerke, Theaterstücke.) Reinbek 1991, S. 158 (Jean-Paul Sartre: Le Diable et le Bon
Dieu. In: Sartre: Théâtre complet, S. 494): „Siehst Dudie Leere über unserenKöpfen?Das ist
Gott. SiehstdudiesenSpalt inderTür?Das istGott. SiehstdudasLoch inderErde?Auchdas
ist Gott. Das Schweigen ist Gott. Die Abwesenheit ist Gott. Gott ist die Einsamkeit desMen-
schen. Nur ichwar da: Ich habe allein über das Böse entschieden; allein habe ich das Gute
erfunden.“ („Tu vois ce vide au-dessus de nos têtes? C’est Dieu. Tu vois cette brèche dans la
porte?C’estDieu. Tuvois ce troudans la terre?C’estDieuencore. Le silence, c’estDieu. L’ab-
sence, c’estDieu.Dieu, c’est la solitudedeshommes. Il n’yavait quemoi: J’ai décidé seul du
Mal; seul, j’ai inventé le Bien.“) Die blasphemischen Ausfälle der Figur Gœtzmindern nicht
diebegeisterteAufnahme inGeistigesFrankreich (DerneueSartre, 18.06.1951):DasStück, das
am 7. Juni 1951 im Théâtre Antoine Premiere feiert, wird darin als „von unwiderstehlicher
Kraft, von durchdringender Schärfe“ gerühmt, es sei „ein monumentales Werk, das überle-
bensgrossdenWerdegangeinerSeeleschilder[t].“
160 Heintel: JeanPaulSartresatheistischerHumanismus,S.40.
161 Cf. Sartre: L’Existentialisme est unhumanisme, S. 38f., 77. Cf. dazu auchBeauvoir: Pour
uneMoralede l’ambiguïté,S. 91. ZuletztwurdediesvonPapstFranziskusunterstrichen:„Und
werweiß, vielleicht ist dasdas einzigeBand, das alleMenschenverbindet–dieLiebeGottes.
Darüberhinaussindwir frei. Sogar frei, ihnnicht zu lieben.“WimWendersundDavidRosier:
PapstFranziskus–EinMannseinesWortes (2018),92min,01:22:18–01:22:45.
162 Sartre:LesMouches,S.64.
7.3 KatholischeKritikoder:DerExistentialismusalsNihilismus 261
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur