Page - 279 - in Existentialismus in Österreich - Kultureller Transfer und literarische Resonanz
Image of the Page - 279 -
Text of the Page - 279 -
tanzieren sich von ihm,mit oder ohne Eklat, Simone deBeauvoir zufolge auf-
grund tiefer Meinungsverschiedenheiten oder weil sie ihn kompromittierend
fanden („avecplus oumoinsd’éclat, soit par unprofonddésaccord, soit parce
qu’ils le trouvaient compromettant“68). Während sich Sartres Annäherung an
dieKommunistInnenübermehrere Jahre zieht,macht ihn seineRedebeim in-
ternational sichtbaren Friedenskongress, „die erste nach seinerWandlung“69,
offiziell zumWeggenossen, so seine BiographinAnnie Cohen-Solal: Öffentlich
zum compagnon de routewird er also nicht in demMoment, als dieMehrzahl
der Intellektuellen nach 1945 es sind, sondern sieben Jahre später, als ange-
sichts des inzwischen publik gewordenen Ausmaßes sowjetischer Straflager
viele ihreanfänglicheHaltungaufgeben.70SartrebeschließtdieseSeitederGe-
waltauszublenden,daerdieSowjetunion(Leninzitierend) füreinenansichzu
verteidigenden historischenWert („en elle-même une valeur historique à dé-
fendre“71)hält.Sperbermoniertdiesbezüglich:
Sartre hat niemals die Existenz des Gulag geleugnet, aber jene hemmungslos bekämpft
und herabgesetzt, die diese Wahrheit verbreiteten, denn manmußte, meinte er, unter
allen Bedingungen den Glauben des Proletariats an Stalin und an den sozialistischen
Charakterder Sowjetunionbewahren. Sartre, der intellektuell einflußreichsteund törich-
teste Propagandist der falschen Alternative, verlangte später, daß man zu allem Übel
schweigen sollte, das Rußland und die kommunistische Bewegung in der ganzenWelt
anrichteten.Undwoesunmöglichwar, eszuverheimlichen,galt es,Gründedafür zu fin-
den,warumes trotzallemnotwendigbliebzudenKommunistenzustehenund ihreGeg-
ner,die ‚Hunde‘, zubekämpfen.72
68 Beauvoir,LaForcedes choses, Bd. 2, S. 21. IndiesemWandel endet das vonmanchenBe-
obachterInnenalswillkürlichbeanstandete„‚être engagé‘without identifying thecause“ (An-
ders: On Sartre [LIT], S. 16) des Existentialismus. So kommentiert der 1938 vonWien nach
Kalifornien emigrierte Historiker und Philosoph Eric Voegelin am 21. Oktober 1952 in einem
Brief anRobert B. Heilman: „Imyselfwondered all the timewhere that sort of atheistic exis-
tentialism would end; for the attitude of ‚engagement‘ without being concretely engaged
could not bemaintained forever. Tomypleasure it endedwhere according tomy analysis of
Gnosis it shouldend.TheSartre case is onemore illuminating item in thebreakdownof intel-
lectualism.“ Eric Voegelin: Robert B. Heilman and Eric Voegelin. A Friendship in Letters.
1944–1984. Editedwith an introduction by Charles R. Embry, foreword by Champlin B. Heil-
man. Columbia/MO 2004, S. 114f. Cf. auch Eric Voegelin: Published Essays 1953–1965. (The
CollectedWorksofEricVoegelin11.)Missouri 2000,S. 224–251.
69 HansHeinzHolz:DieabenteuerlicheRebellion.BürgerlicheProtestbewegungeninderPhilo-
sophie.Stirner,Nietzsche,Sartre,Marcuse,NeueLinke.DarmstadtundNeuwied1976,S.163.
70 Cohen-Solal:Sartre,S.569,579.
71 Jean-PaulSartre: LesCommunistes et laPaix. In: Sartre: Situations,VI. Problèmesdumar-
xisme,1.Paris 1964,S.92.
72 Sperber:NureineBrückezwischenGesternundMorgen,S.44.
8.2WendepunktWien:SchmutzigeHände 279
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur