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Sartres „ultra-bolchevisme“73, wie es der einstige Freund Merleau-Ponty nennt,
seineNeigung,„dasProletariatmitderkommunistischenParteiunddiesemitder
Sowjetunionundschließlichmit Stalin zu identifizieren“74, löst Befremden inder
gauche intellectuelleaus,diezuSartresEnttäuschungnichtnachWiengereistwar.
MonatelangdurchdieMedienbeeinflusst, sei siemisstrauischgeworden,vermutet
er, pessimistisch, resigniert und im Glauben, der Kongress sei nur ein Manöver
(„[p]ersonnellement, jeconnaisbeaucoupdegens trèshonnêtesquidevraientêtre
ici ànoscôtés–etquin’ysontpas.Pourquoi?Ehbienparpessimisme,par résig-
nation, et puis on leur a fait craindre que le congrès ne soit unemanœuvre“75).
AufderGegenseiteherrschteinederartige IrritationüberSartresWende,dassüber
ZwangundBestechungspekuliert, zumindestaberderVerrat einstiger Ideale fest-
gestelltwird,wassich inderPresse-Berichterstattungspiegelt:„Erwarnichtmehr
dazuverurteilt, freizusein.Underbrauchteauchnichtmehrzuwählen.Dastaten
jetzt andere für ihn.“76 Sartreswiederholte Beteuerung, in niemandesAuftrag zu
agieren, nur aus den eigenenFriedensabsichten für dieWelt heraus (die „coexis-
tence pacifique fondée sur des échanges Est-Ouest, réunification de l’Allemagne
sansmodificationdurégimeéconomiquedesdeuxzones,paixen Indochine“und
die „admissionde laChineà l’O.N.U.“77), überzeugtwenige.Diemeistenerklären
sichdieKongress-TeilnahmevonNicht-KommunistInnenmit derenNaivität: Fritz
Fassbinderetwagibtsich indervonderamerikanischenBesatzunginitiiertenZeit-
schriftKontinente„erstauntüberdieNaivität einesscharfsichtigenundbeachtens-
werten Philosophen“, der paradoxerweise „Frieden suchend in Verein mit der
sowjetischenWeltfriedensbewegung“78 inzwischendogmatischgeworden sei. Der
Anti-Kommunist Friedrich Torberg, der in der von ihmgegründeten und vonder
CIAunterstütztenKulturzeitschriftFORVMdasGeschehenals „ein sehr aufregen-
73 MauriceMerleau-Ponty:LesAventuresde ladialectique.Paris 1955,S. 131–271.
74 Sperber: Nur eine Brücke zwischenGestern undMorgen, S. 41. Cf. Vincent vonWroblew-
sky: Jean-PaulSartresEngagement fürdenFrieden. In:DeutscheZeitschrift fürPhilosophie33
(1985),Nr.9,S. 797–806.
75 Sartre: InterventiondeM. Jean-PaulSartre,Serviced’Information [Vienne], 13.12.1952.
76 Steffen: Pilgrim des „Friedens“. In: Die Zeit, 25.12.1952. Häufigwerden in der Folge seine
früheren Aussagen gegen Sartre eingesetzt, wie von Fritz Fassbinder (Quo vadis, Jean-Paul
Sartre? In:Kontinente8 [1955],Nr. 6, S. 30–34,hier S. 34): „DerBindungoderBindungslosig-
keit Sartres setzen wir unsere feste, absolute Bindung entgegen – der sowjetische Hammer
tötet und die sowjetische Sichel mäht Menschen und nicht Gras oder Frucht. –Wir wollen
einen Sartresatz für uns verwenden: ‚Dawir noch frei sind,werdenwir nichtmit denWach-
hundenderKommunistischenPartei zusammengehen.‘“
77 Jean-Paul-Sartre: Interview par Paule Boussinot. In: Contat und Rybalka (Hg.): Les Écrits
deSartre,S. 252. [Zuerst in:Défensede laPaix.Numérospécial,décembre1952.]
78 Fassbinder:Quovadis, Jean-PaulSartre?,S. 33,34,31.
280 8 SartreundderkulturelleKalteKrieg
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur