Page - 317 - in Existentialismus in Österreich - Kultureller Transfer und literarische Resonanz
Image of the Page - 317 -
Text of the Page - 317 -
denendie existentialistischen Ideen (gestützt durchBerichterstattung ingeneig-
tenPeriodika)amstärkstenzirkulieren.
BetreffendSartres scheinbarenAnti-Humanismusdeckt sichdie katholische
mitderkommunistischenHaltung indenerstenNachkriegsjahren.Sind inseiner
antikommunistischenPhasedurchausnochkommunistische oderdemKommu-
nismus sehr nahe stehende SchriftstellerInnen in Österreich öffentlich aktiv,
gerade imPEN-Umfeld, stellendiese,alsSartre 1952 inWienöffentlichzumcom-
pagnonde routewird, eine Splittergruppe im inzwischenausdrücklich antikom-
munistischen Klima dar. Zwischen den Blöcken gelegen, gerät Österreich zum
AustragungsortauchvonkulturellenKonfliktendesKaltenKriegsdervieralliier-
tenMächte,sobeimberühmtenBrecht-BoykottundbeidenSkandalenumSartre
in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre.25 Sein Völkerkongress-Auftritt und der
medial befeuerte Kampf um die Wiener Les Mains sales-Aufführungen bilden
denHöhe- undWendepunkt desTransfergeschehensund stellen für dieweitere
Existentialismus-AufnahmedieWeichen.AuchwennSartresVerhältniszurKom-
munistischenPartei schnellwieder insNegativ(er)eumschlägt, verfestigendiese
Momente in Österreich sein Image, Literatur für (partei)politische Zwecke zu
missbrauchen und den eigenen Figuren „ideologische Spruchbänder zumHals
heraushängen“26zu lassen.
Im Verlauf der fünfziger Jahre, einer Phase allgemeiner politischer und
ökonomischer Stabilisierung, verliert der Existentialismus als „Philosophie
der Krise“27– geboren aus den kollektiven und individuellen Grenz- und Zä-
surerfahrungen des Krieges, der Besetzung und der Libération – an „Durch-
schlagskraft“28. Anders als in Frankreich, wo Sartre bei den 1968er-Unruhen
als Intellektueller neuerlich in der ersten Reihe steht und durch seine politi-
schen Interventionen im Schulbildungsbereich höchstens Eklats auslöst,29
gelten seine existentialistischen Schriften in dem von der Protestbewegung
25 Diese seltenauffallendeParallele erwähntanlässlichderBurgtheater-PremierevonSartres
Die Fliegen im Jahr 1965 Ernst Lothar (Tragikomödie der Gewissensbisse. In: Express,
16.02.1965): „Eine Frage:Wird auf demLueger-Ringmit ungleichemMaßgemessen?Daman
dort Brechtmit demBannbelegt,was rechtfertigt dasPrivileg zugunstendes ihm ideologisch
nicht fernstehenden Sartre? Sein deprimierendes Résistancestück, dasmanübrigens inWien
schonsah,keinesfalls.“
26 Basil: JeanPaulSartre,DieschmutzigenHände,Theater inder Josefstadt,S. 267.
27 Fischl: Idealismus,RealismusundExistentialismusderGegenwart,S. 236.
28 Jurt: Jean-Paul Sartre oder der totale Intellektuelle. In: Neue Zürcher Zeitung, 22.05.1987.
Cf.Bourdieu:LesRèglesde l’art,S.350.
29 Cf. Jean-Paul Sartre: „LeMur“ au lycée. In: Sartre: Situations, VIII, S. 233–238. [Zuerst
in:LeMonde, 18.01.1969.]
9 „Ein toterSartre isteinguterSartre“.BilanzundAusblick 317
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur