Page - 67 - in Ferdinand I. als Kaiser - Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
Image of the Page - 67 -
Text of the Page - 67 -
Erstes Eingreifen Ferdinands in die Sachgespräche 67
Stände zur katholischen Kirche einkalkuliert und darum in die Regelung einbe-
zogen werden müsse. Doch Ferdinand ließ sich von dieser theoretischen Mög-
lichkeit, die auch die Antragsteller als irreal eingeschätzt haben dürften, nicht
beeindrucken, sondern ließ gegen das Prinzip vier vor allem ordnungspolitisch
akzentuierte Einwände vortragen206.
(1) Durch die Freistellung könnten geistliche Reichsstände verleitet werden,
dem Beispiel des Herzogs von Preußen zu folgen, nämlich ihre Stifte zu säkula-
risieren oder ihnen bei ihrem Übertritt so viel zu entfremden, daß kaum etwas
übrig bliebe; ebenso könnten etwa in Schwaben, an dessen Verhältnissen Ferdi-
nand durch zahlreiche Vogteien interessiert sei, viele Prälaten versuchen, sich
durch Verkauf von Stiftsgut für Übertritt und Heirat schadlos zu halten. Die
Freistellung würde so im Reich größte Unordnung provozieren.
(2) Der Zusatz „und Obrigkeiten“ sei untragbar, weil er die Ausdehnung der
Freistellung auf die freie Ritterschaft bedeute. Bisher hätten sich fast alle
Reichsritter, die außerdem Güter von katholischen Fürsten (Österreich, Bayern
sowie den Hochstiften in Franken) zu Lehen hätten, nach ihren Landesherren
gerichtet; es werde in Schwaben, Franken und am Rhein zu unleidlichem kon-
fessionellen Durcheinander kommen, wenn die Ritter das Recht hätten, auf
ihren Allodialgütern die Religion zu ändern.
(3) Die Erwähnung der Untertanen sei in diesem Zusammenhang ganz unan-
gebracht, da es hier um Entscheidungskompetenzen von Obrigkeiten gehe;
sonst könne daraus abgeleitet werden, daß sie selbst über ihre Religion ent-
scheiden könnten.
(4) Die Gewährung aller Rechte des Religionsfriedens bei künftigen Über-
tritten sei absurd, denn sie widerspreche sowohl dem Passauer Vertrag als auch
dem Zweck der ausgehandelten Artikel, die ja den status quo fixieren sollten.
Wenn ein künftig Übertretender seine Lande und Untertanen z.B. der geistli-
chen Jurisdiktion entziehen dürfe, wäre der ganze Friedensschluß vergeblich.
Übertritte aus materiellen Gründen würden so gefördert, denn wer sich künftig
von der alten Religion abwende, hätte dann viel bessere Konditionen, als wer
bei ihr bleibe, so daß mancher, dem „der Fiscus mer als Cristus angelegen“ sei,
sich zur Einziehung geistlicher Stiftungen und Pfründen geradezu ermuntert
sehen werde. Binnen zwei Jahren werde dann kein Bischof außerhalb Öster-
reichs und Bayerns mehr Diözesanen haben. Selbst in Passau, als man gleichsam
unter dem Druck von Waffen verhandelt habe, sei diese Forderung von den
Protestanten nicht gestellt worden.
Obwohl diese Argumentation von Bayern und den geistlichen Fürsten unter-
stützt wurde, gelang es ihnen nicht, den Gedanken der Freistellung völlig aus
dem Votum des Fürstenrates herauszuhalten. Allerdings beschränkte der
schließlich eingefügte Artikel die Freistellung auf die weltlichen Reichsstände;
die anderen „Obrigkeiten“ und der Hinweis auf die Untertanen wurden gestri-
chen, und es wurde klargestellt, daß durch einen Übertritt keine Regelung des
206 Zum Folgenden Zasius’ Protokollauszug (HHStA Wien RK, RTA 29b, fol 48v-52v, danach M.I.
Schmidt 2, S. 46ff; vgl. Bucholtz 7, S. 179f, Adler, S. 259). Die entscheidenden hier anstößigen
Worte „geistlichen“ und „obergkhaitten“ sind jeweils an den Beginn einer Zeile gesetzt und au-
ßerdem unterstrichen (fol 48v).
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
back to the
book Ferdinand I. als Kaiser - Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V."
Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Title
- Ferdinand I. als Kaiser
- Subtitle
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Author
- Ernst Laubach
- Publisher
- Aschendorff Verlag
- Location
- Münster
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 786
- Keywords
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Category
- Biographien