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Selds Gutachten 269
lerdings abzulehnen, da es sich um eine Fälschung – „lautter gedicht Fabel-
werck“ – handele82. Eine Wiederbelebung der in früheren Konflikten einge-
büßten kaiserlichen Rechte, so die Möglichkeit, Päpste abzusetzen, die Investi-
tur von Geistlichen, obwohl dieser Verlust eigentlich eine Diskriminierung des
Kaisertums bedeute, weil andere Herrscher sie immer noch praktizierten, auch
die schon seit längerer Zeit nicht mehr ausgeübte Jurisdiktion über Kleriker,
erachtet Seld als mĂĽĂźig83. Auch die vor Jahrhunderten ĂĽbliche Mitwirkung bei
der Papstwahl könne nicht mehr beansprucht werden. Das selbst von den mei-
sten Kanonisten zugestandene, neuerdings aber bestrittene Recht des Kaisers,
bei dringendem Bedarf ein Konzil einzuberufen, wenn Papst und Kardinäle
versagten84, verteidigt Seld unter Hinweis auf die spätantiken Konzilien85. Das
war auch immer die Auffassung Karls V. und Ferdinands gewesen. Die Frage,
ob das Konzil über dem Papst stehe, erklärt Seld für so diffizil, daß er sie nicht
grundsätzlich entscheiden möchte; unstreitig – und in Konstanz und Basel be-
stätigt – sei der Vorrang des Konzils im Falle eines Schismas, eines häretischen
Papstes und, wenn eine „gemeine Reformation der gantzen kirchen“ anstehe86.
Die letztgenannte Alternative sollte in den nächsten Jahren aktuell werden und
läßt sich in der Argumentation des Kaiserhofs mehrmals fassen.
Eine Ausdehnung der päpstlichen Gehorsamsforderung über den geistlichen
Bereich hinaus lehnt Seld strikt ab: „So khan man ime doch des selben weitter
oder mehrers nitt, dan allain in gaistlichen sachen und die der gewissen antref-
fen gestendig sein“87. Die seit Innozenz III. vertretene Ansicht, daß der Papst
keinem irdischen Richter unterworfen sei, kommentiert er nicht weiter88, doch
den Anspruch, daß der Papst selbst in weltlichen Streitfällen, in denen die Kurie
Partei sei, Richter zu sein habe, hält er für unerträglich: „Dan dardurch wurd
volgen müssen, was die Bäpst immermehr anfiengen, es wär gleich wie gerad
oder wie krumm es wolt, das hetten sie gewonnen und E. Mt. und ander leutt
verloren“89. Seld stellt dagegen den Frankfurter Beschluß der Reichsstände aus
dem Jahr 1338, „das der Babst in seiner eignen Sach nicht Richter sein soll“,
82 fol 27r/ S. 175. Als Beleg führt Seld die Arbeit von Lorenzo Valla an, erwähnt, daß Hutten und
Luther dessen These übernommen hätten, verweist außerdem, weil man diesen Gewährsleuten
Voreingenommenheit unterstellen könnte, auf die von Nikolaus von Cues und Pius II. geäu-
Ăźerten Zweifel (dazu Laehr, bes. S. 153ff, S. 157ff u. S. 168ff) und fĂĽgt unter Berufung auf
Nauclerus’ Weltchronik und andere Autoren weitere Argumente hinzu (fol 27r-28r/ S. 176; bei
Goldast fehlen etliche Belege Selds).
83 fol 16–17/ S. 173
84 vgl. Andrae, S. 38
85 fol 23v-24r/ S.174; auch fol 67r /S. 190
86 fol 20r-23v/ S. 174. Bei Goldast sind die meisten Belege, durch die eine GegenĂĽberstellung der
wichtigsten Meinungen geboten wurde, weggefallen.- Anscheinend hat die Frage einen Leser
(Ferdinand?) interessiert, denn mehrere dafĂĽr sprechende Wendungen sind am Rand angestri-
chen.
87 fol 15v/ S. 173
88 fol 17v-18r/ S. 173. Anfang 1559 hat Paul IV. diese Sentenz ausdrücklich bekräftigt (vgl. v.
Schubert, S. 55).
89 fol 18r/ S. 173f
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
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Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Title
- Ferdinand I. als Kaiser
- Subtitle
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Author
- Ernst Laubach
- Publisher
- Aschendorff Verlag
- Location
- MĂĽnster
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 786
- Keywords
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Category
- Biographien