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VON EINER FÜRSTLICHEN SAMMLUNG ZUR
FAMILIENBIBLIOTHEK10
Ferdinands I. Erst nach dessen Tod 1878 wurde Kaiser Franz Joseph I. zum
Fideikommissherrn und er blieb es bis zum 16. November 1916. In organisa-
torischer Hinsicht und auf Entscheidungsebene nahm Franz Joseph jedoch
schon sehr viel früher das Heft in die Hand. Alle maßgeblichen Entscheidun-
gen die Bibliothek betreffend wurden ab seiner Thronbesteigung 1848 vom
Kaiser persönlich getroffen. Franz Joseph inkorporierte in die Fideikom-
missbibliothek seine eigene Privatbibliothek und die seines Vorgängers Fer-
dinand und ließ diese vergrößerte Sammlung 1878 in „k. k. Familien-Fidei-
kommissbibliothek“ bzw. 1889 in „k. u. k. Familien-Fideikommissbibliothek“
umbenennen. Durch die sukzessive Ernennung von zwei Wissenschaftlern
zu Bibliotheksdirektoren – Moritz Alois von Becker (1869–1887) und Josef
von Zhishman (1887–1894), die beide auch Erzieher des Kronprinzen Ru-
dolf waren – gewann die Bibliothek deutlich an Profil und wurde zu einer
bedeutenden wissenschaftlichen Bibliothek, die in vielen Bereichen den Ver-
gleich mit der Hofbibliothek nicht zu scheuen brauchte. Im Gegenteil: Mehr
und mehr wurde die Fideikommissbibliothek zu einem historischen Erinne-
rungsraum für die Habsburgermonarchie und vor allem für die regierende
Dynastie. Einen besonderen Anteil an dieser Transformation hatte der letzte
Leiter der Bibliothek Franz Schnürer, der der Herrscherfamilie besonders
verbunden war und große Anstrengungen unternahm, Teile der Bibliothek
in ein Habsburgermuseum umzugestalten.
Es ist eine besondere Ironie der Geschichte, dass gerade jener Kaiser, der –
abgesehen von sehr wichtigen organisatorischen Maßnahmen – von allen
Fideikommissherren sich am wenigsten für Bücher interessierte, zu der Zent-
ralfigur schlechthin auch in der Fideikommissbibliothek wurde. Faktisch alle
namhaften politischen Ereignisse während der langen Regierungszeit Kaiser
Franz Josephs, alle Jubiläen des Herrschers und seiner Familie wurden in
Form von Huldigungsadressen, Büchern, Zeitschriften sowie Bildwerken und
Fotografien in der Fideikommissbibliothek dokumentiert. Dazu kommen Er-
innerungsstücke und Lebensdokumente aus dem Privatbesitz des Kaisers,
etwa seine ersten Schreibversuche und die Unterrichtshefte und Schulauf-
sätze, die Aufschluss über die Erziehung des zukünftigen Regenten gewäh-
ren. All diese Dokumente geben Einblicke in die Person des „ewigen Kaisers“,
der wie kein anderer Herrscher die Welt des alten Österreichs verkörperte
und der zur identitätsstiftenden Symbolfigur für das habsburgische Vielvöl-
kerreich wurde.1 Ein Dokument freilich wird man in der Familien-Fideikom-
missbibliothek vergeblich suchen: das Handschreiben „An meine Völker!“
vom 28. Juli 1914, mit dem der alte Kaiser, fehlgeleitet von seinen Ratgebern
und vertrauend auf eine höhere Gewalt, die ihm die Entscheidung abgenom-
1 Petschar, Kaiser.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
Metamorphosen einer Sammlung
- Title
- Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
- Subtitle
- Metamorphosen einer Sammlung
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21308-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 1073
- Categories
- Geschichte Chroniken