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DIE PRIVATBIBLIOTHEKEN FRANZ’ I. UND FERDINANDS I. 1835–1848 133
sprechen, eine Konstitution zu erlassen und künftighin einen für die Bera-
tung und Vollziehung der Gesetze verantwortlichen Ministerrat einzusetzen.
Der von Franz von Pillersdorf ausgearbeitete Verfassungstext wurde bereits
am 25. April proklamiert. Doch fiel er bei den Revolutionären durch. Die in
ihrer „Sturmpetition“ geforderten Änderungen wurden zwar akzeptiert, er-
zeugten beim Kaiser jedoch das Gefühl, dass Wien kein sicherer Ort mehr
sei. Eine fingierte Spazierfahrt am 17. Mai war der Beginn der Flucht nach
Innsbruck. Der anfangs geschockten und enttäuschten Wiener Bevölkerung
wurde eine Rückkehr des Monarchen zunächst für die Eröffnung des Wiener
Reichstages in Aussicht gestellt, die jedoch dann von Erzherzog Johann nach
dessen Rückkehr aus Frankfurt am 22. Juli vorgenommen wurde. Die lange
Abwesenheit Ferdinands hatte das Verhältnis zum Volke getrübt, weshalb
die Bevölkerung dem am 12. August tatsächlich in Wien eintreffenden Kai-
ser einen eher kühlen Empfang bereitete. Der in der Winterreitschule der
Hofburg tagende Reichstag beschäftigte sich in dieser Zeit intensiv mit der
am 7. September beschlossenen Grundentlastung und ihren Folgen – die
einzige maßgebliche Errungenschaft dieser Versammlung. Als Anfang Okto-
ber die Unruhen in Ungarn neuerlich aufflammten und der königliche Kom-
missär der ungarischen Armee, Franz Philipp Graf Lamberg, am 28. Sep-
tember in Pest von der aufgebrachten Volksmenge ermordet wurde, trat der
kroatische Banus Joseph Jellačić an seine Stelle. Als ihm der österreichische
Kriegsminister Theodor Baillet von Latour Truppen zur Verstärkung nach
Ungarn schicken wollte, wurde dieser am 6. Oktober von Wiener Aufständi-
schen ermordet und an einem Gaskandelaber vor der Kirche Am Hof aufge-
hängt. Kaiser Ferdinand sah sich daraufhin genötigt, aus der Haupt- und
Residenzstadt am 7. Oktober neuerlich zu flüchten. Unter militärischer Be-
wachung ging die Fahrt über Sieghartskirchen, Herzogenburg, Göttweig,
Hadersdorf am Kamp, Pulkau, Znaim (Znojmo), Seelowitz (Židlochovice),
Austerlitz (Slavkov) und Wischau (Vyškov) schließlich nach Olmütz (Olo-
mouc), wo er am 15. Oktober eintraf. Bereits am Folgetag erließ er ein Mani-
fest, in dem er Waffengewalt androhte, sollte sich die Lage in Wien nicht be-
ruhigen. Der Reichstag wurde für den 22. November nach Kremsier – dem
Sommersitz der Olmützer Erzbischöfe – bestellt. Einer Wiederholung des
Manifests am 19., in der alle bisherigen Zugeständnisse nochmals dezidiert
angesprochen wurden, folgte ein von Alfred Fürst Windisch-Grätz abgefass-
tes Ultimatum am 20. Oktober. Nach erfolgter Ablehnung der Kapitulations-
aufforderung wurde der Belagerungsring um Wien durch die Truppen Win-
disch-Grätz’ und Jellačićs geschlossen, die Stadt bombardiert und schließlich
am 31. gestürmt. Wien kapitulierte daraufhin durch Hissen einer weißen
Fahne am Stephansturm. Somit saß das Haus Habsburg-Lothringen im
öster reichischen Kernland wieder fest im Sattel. Ob Ferdinand die Bezie-
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
Metamorphosen einer Sammlung
- Title
- Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
- Subtitle
- Metamorphosen einer Sammlung
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21308-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 1073
- Categories
- Geschichte Chroniken