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KAISERLICHES INSTITUT UND
ERINNERUNGSRAUM842
zur Hebung der Qualität der kunstindustriellen Produktion und des Ge-
schmacks bei Erzeugern und Konsumenten. Als Foren dieser Diskurse eta-
blierten sich kunstgewerbliche Ausstellungen, aus denen schließlich die
Weltausstellungen hervorgingen, und Museen und Lehranstalten für ange-
wandte Kunst. Ausgangspunkt der Reformbewegung war Großbritannien.
Hier formierte sich in den 1860er Jahren die Arts-and-Crafts-Bewegung, die
die Rückkehr zur handwerklichen und die Abkehr von der industriellen Pro-
duktion propagierte; und hier wurde 1851 die erste Welt
ausstellung veran-
staltet und 1852 das erste kunstgewerbliche Museum gegründet, das South
Kensington Museum im Westen Londons.1510
Diese Entwicklungen wurden auch in der Habsburgermonarchie rezipiert.
1862 fungierte der Universitätsprofessor für Kunstgeschichte Rudolf von Ei-
telberger im Auftrag Erzherzog Rainers als Berichterstatter bei der dama-
ligen Weltausstellung in London. Er verfasste noch im gleichen Jahr eine
Denkschrift, in der er „Vorschläge […], welche sich auf die Hebung der Ge-
schmacksbildung in Oesterreich beziehen“, unterbreitete. Das Memorandum
wurde dem Kaiser vorgelegt, Erzherzog Rainer beauftragte Eitelberger, „sich
mit der Frage der Gründung eines Museums, das vorzugsweise zur Hebung
des Geschmacks berufen sein soll, zu beschäftigen.“ Am 7. März 1863 wurde
die Gründung einer solchen Anstalt – des nachmaligen Österreichischen Mu-
seums für Kunst und Industrie – mit kaiserlichem Handschreiben angeord-
net. Da Eitelberger in seiner Denkschrift „die verschiedensten Anstalten des
Auslandes, die Art und Weise, wie der Kunstunterricht in den Schulen ge-
fördert, die Museen der allgemeinen Benützung zugänglich gemacht werden,
entsprechend gewürdigt und insbesondere auf das South-Kensington-Museum
hingewiesen“ hatte, ist die Vorbildwirkung dieses Museums auf die Gründung
seines Wiener Pendants kaum zu verkennen.1511
Nach diesem Exkurs kann man in Bezug auf Thema des vorliegenden Ka-
pitels folgendes festhalten: Die kunstvollen Hüllen und Kassetten der Hul-
digungsadressen waren das Resultat der forcierten Förderung der Kunst-
industrie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die wiederum die
Reaktion auf eine Krise dieses Gewerbes darstellt. Da das Österreichische
Museum für Kunst- und Industrie an der Spitze der Reformbewegung im
Habsburgerreich stand, verwundert es auch nicht, dass diese Institution für
die Rezeption und Instrumentalisierung der Adressen im Rahmen der Be-
strebungen „zur Hebung des Geschmacks“ eine hervorragende Rolle spielte.
Man muss aber auch hinzufügen, dass sich die Gestaltung von Alben, Ein-
bänden, Kassetten und dergleichen in dieser Zeit zu einer Besonderheit der
1510 Falke, Geschmack, 380–385.
1511 Ferstel, Museum, 351f.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
Metamorphosen einer Sammlung
- Title
- Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
- Subtitle
- Metamorphosen einer Sammlung
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21308-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 1073
- Categories
- Geschichte Chroniken