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KAISERLICHES INSTITUT UND
ERINNERUNGSRAUM924
zur Hofbibliothek, die damals bereits eine öffentliche Institution darstellte
und im Übrigen schon im 19. Jahrhundert mit der Bezeichnung „National-
bibliothek“ etikettiert wurde. Dass dieses Schicksal längerfristig auch vor
der Fideikommissbibliothek nicht Halt machte, muss also schwerwiegende
Gründe gehabt haben.
Eine dieser Ursachen sehe ich in der bereits angedeuteten Diskrepanz
zwischen dem Mangel an Zweckwidmung und dem Anspruch und Umfang
der Sammlung. Bereits Moritz Alois von Becker hatte – wenn auch im Hin-
blick auf das inhaltliche Profil – festgehalten, dass „ein leitendes Princip in
Bezug auf die Richtung, welche die Bibliothek zu verfolgen hat, […] bei der
Gründung nicht vorgeschwebt zu haben [scheint]“.1801 Die Errichtung des
Fideikommisses aber war hauptsächlich eine juristische Maßnahme, die
den Erhalt der Sammlung sicherstellen sollte. Zwar konnte sie damit vom
Fideikommissherrn und den Mitgliedern der kaiserlichen Familie benutzt
werden – Becker hat diese Zweckwidmung dahingehend präzisiert, dass er
die Fideikommissbibliothek vor allem als Studienbibliothek für die Erzie-
hung des kaiserlichen Nachwuchses betrachtete –; diese Funktion wurde al-
lerdings weder dem Umfang der Bestände gerecht noch wurde sie dauerhaft
in Anspruch genommen. Interessanterweise hatte gerade jene Maßnahme
Beckers, die die Beanspruchung der Fideikommissbibliothek als Familienbi-
bliothek fördern sollte – nämlich der gedruckte Katalog –, keine Auswirkun-
gen in diese Richtung. Im Gegenteil, die Nutzung der Bestände durch Mit-
glieder der kaiserlichen Familie lässt sich ab dem letzten Jahrhundertviertel
immer seltener nachweisen. Doch der Katalog hatte dafür einen anderen
Effekt: Er ließ das Wissen über Umfang und Inhalt der Sammlung langsam
aber sicher in die Sphäre der Öffentlichkeit durchsickern.
Der Katalog und verschiedene andere Informationskanäle wie etwa Zei-
tungsartikel und Ausstellungen können als Auslöser für die vielfältigen For-
men der Nachfrage, die zunehmend an die Fideikommissbibliothek heran-
getragen wurden, betrachtet werden. Doch die Ursachen für diesen Bedarf
müssen in der Gesellschaft selbst gelegen sein. Mit anderen Worten: Der
Druck von außen war es erst, der die Öffnung der Sammlung bewirkte. Die
Überstellung der herrscherlichen Sammlungen in die Verfügungsgewalt des
Staates und der Öffentlichkeit ist eines der eigentümlichsten Phänomene
des 18. und 19. Jahrhunderts, das in nahezu allen Teilen Europas zu be-
obachten ist. Das Besondere daran ist im Fall der Fideikommissbibliothek,
dass dieses Nutzungsrecht nicht durch eine Anordnung von „oben“ zustande
kommt, sondern durch beständige und zugleich unscheinbare Einflüsse von
außen: Die Anfragen werden mit der Zeit immer häufiger und der Umgang
1801 FKBA26135, pag. 17.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
Metamorphosen einer Sammlung
- Title
- Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
- Subtitle
- Metamorphosen einer Sammlung
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21308-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 1073
- Categories
- Geschichte Chroniken