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ABSCHLIESSENDE BEMERKUNGEN 927
durch diese Herrschaft zusammengehalten wurde, sollte der Bevölkerung
durch das vergleichsweise moderne Medium „Ausstellung“ vermittelt wer-
den. Ob dieser Plan aufgegangen wäre bzw. welche Effekte das Museum tat-
sächlich hätte erzielen können, steht freilich dahin. Hobsbawm hatte bereits
eingewendet, dass viele Initiativen zur Etablierung neuer („erfundener“) po-
litischer Traditionen im Sand verliefen. Dennoch glaube ich, dass meine For-
schungen aufzeigen konnten, dass zahlreiche Objekte aus den Beständen der
Fideikommissbibliothek, die auf die Bezüge zum Kaiser und zur Dynastie
aufwiesen, eine hohe Faszination und Anziehungskraft ausübten. Das bele-
gen sowohl die zahlreichen, von außerhalb der Bibliothek kommenden Ini-
tiativen zur Veröffentlichung dieser Dokumente ungefähr ab der Jahrhun-
dertwende als auch jene beiden Ausstellungen, die 1908 und 1913 die Person
Franz Josephs und die Fideikommissbibliothek als Habsburgersammlung
zum Gegenstand hatten. Schnürers Habsburgermuseum hätte also vermut-
lich das Potenzial gehabt, sich als identitätsstiftende Institution zu etablie-
ren. Umso bemerkenswerter ist es, dass die Idee weder im unmittelbaren
Umfeld des Kaisers noch im öffentlichen Diskurs aufgegriffen wurde. Wir
wissen eigentlich sehr wenig darüber, ob und welche Ansichten dazu außer-
halb der Fideikommissbibliothek oder der Generaldirektion bestanden. Viel-
leicht fehlte der wertkonservativen, ganz auf die Bewahrung der Tradition
fokussierten Führungsschicht der Habsburgermonarchie einfach die Fanta-
sie, um sich zeitgemäßer Formen der Kommunikation politischer Botschaf-
ten zu bedienen.
Zu guter Letzt möchte ich noch betonen, dass die Fideikommissbibliothek
mit sehr vielen Aspekten, Institutionen und Personen des damaligen Kultur-
lebens in Verbindung stand. Aus den Kommunikationsprozessen, die sie be-
treffen und die in handschriftlichen und gedruckten Quellen abgebildet sind,
ließe sich beinahe so etwas wie die Kulturgeschichte Wiens und der Österrei-
chisch-ungarischen Monarchie im Fin-de-Siècle rekonstruieren – cum grano
salis insofern, als die Perspektive der Sammlung natürlich eine beschränkte
war. Und dennoch, es erwies sich in jedem Fall als bemerkenswert, wie viele
Themenbereiche des sozialen und kulturellen Lebens der Monarchie am Vor-
abend des Ersten Weltkrieges in den Quellen zur Geschichte der Fideikom-
missbibliothek abgebildet sind. Dieser Fundus zeugt nicht nur vom Stellen-
wert, den die Sammlung in der damaligen Gesellschaft genoss; auf seiner
Grundlage erbrachte die Erforschung und Rekonstruktion der finalen Phase
ihrer Entwicklung auch besonders lohnende Einblicke in die gesellschaftli-
chen und kulturellen Praktiken der untergehenden Habsburgermonarchie.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
Metamorphosen einer Sammlung
- Title
- Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
- Subtitle
- Metamorphosen einer Sammlung
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21308-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 1073
- Categories
- Geschichte Chroniken