Page - 74 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
Image of the Page - 74 -
Text of the Page - 74 -
entstellter Ersatz ist:
»Es war doch ein Unsinn von mir, mich mit der Heirat so zu beeilen! An dem Beispiel der Elise
sehe ich, daß ich auch noch später einen Mann bekommen hätte.« (Die Übereilung dargestellt
durch ihr Benehmen beim Kartenkauf und das der Schwägerin beim Schmuckeinkauf. Für das
Heiraten tritt als Ersatz das Ins-Theater-Gehen ein.) Das wäre der Hauptgedanke; vielleicht
können wir fortsetzen, obwohl mit geringerer Sicherheit, weil die Analyse an diesen Stellen auf
Äußerungen der Träumerin nicht hätte verzichten sollen: »Und einen 100mal besseren hätte ich
für das Geld bekommen!« (150 fl. ist 100mal mehr als 1 fl. 50.) Wenn wir für das Geld die
Mitgift einsetzen dürften, so hieße es, daß man sich den Mann durch die Mitgift erkauft; sowohl
der Schmuck wie auch die schlechten Karten stünden an Stelle des Mannes. Noch erwünschter
wäre es, wenn gerade das Element »3 Karten« etwas mit einem Mann zu tun hätte. Aber soweit
reicht unser Verständnis noch nicht. Wir haben nur erraten, der Traum drückt die
Geringschätzung ihres eigenen Mannes und das Bedauern, so früh geheiratet zu haben, aus.
Mein Urteil ist, daß wir von dem Ergebnis dieser ersten Traumdeutung mehr überrascht und
verwirrt als befriedigt sein werden. Zuviel auf einmal dringt da auf uns ein, mehr, als wir jetzt
schon bewältigen können. Wir merken schon, daß wir die Lehren dieser Traumdeutung nicht
erschöpfen werden. Beeilen wir uns herauszugreifen, was wir als gesicherte neue Einsicht
erkennen.
Erstens: Es ist merkwürdig, in den latenten Gedanken fällt der Hauptakzent auf das Element der
Voreiligkeit; im manifesten Traum ist gerade davon nichts zu finden. Ohne die Analyse hätten
wir keine Ahnung haben können, daß dieses Moment irgendeine Rolle spielt. Es scheint also
möglich, daß gerade die Hauptsache, das Zentrale der unbewußten Gedanken, im manifesten
Traum ausbleibt. Dadurch muß der Eindruck des ganzen Traumes gründlich verwandelt werden.
Zweitens: Im Traum findet sich eine unsinnige Zusammenstellung, 3 für 1 fl. 50; in den
Traumgedanken erraten wir den Satz: Es war ein Unsinn (so früh zu heiraten). Kann man es
abweisen, daß dieser Gedanke »es war ein Unsinn« gerade durch die Aufnahme eines absurden
Elements in den manifesten Traum dargestellt wird? Drittens: Ein vergleichender Blick lehrt, daß
die Beziehung zwischen manifesten und latenten Elementen keine einfache ist, keinesfalls von
der Art, daß immer ein manifestes Element ein latentes ersetzt. Es muß vielmehr eine
Massenbeziehung zwischen beiden Lagern sein, innerhalb deren ein manifestes Element mehrere
latente vertreten oder ein latentes durch mehrere manifeste ersetzt sein kann.
Was den Sinn des Traumes und das Verhalten der Träumerin zu ihm betrifft, wäre gleichfalls viel
Überraschendes zu sagen. Sie anerkennt wohl die Deutung, aber sie wundert sich über sie. Sie hat
nicht gewußt, daß sie ihren Mann so geringschätzt; sie weiß auch nicht, warum sie ihn so
geringschätzen sollte. Daran ist also noch vieles unverständlich. Ich glaube wirklich, wir sind
noch nicht für eine Traumdeutung ausgerüstet und müssen uns erst weitere Unterweisung und
Vorbereitung holen.
[◀ ]
74
back to the
book Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)"
Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin