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10. Vorlesung
Die Symbolik im Traum
Meine Damen und Herren! Wir haben gefunden, daß die Traumentstellung, welche uns im
Verständnis des Traumes stört, Folge einer zensurierenden Tätigkeit ist, die sich gegen die
unannehmbaren, unbewußten Wunschregungen richtet. Aber wir haben natürlich nicht behauptet,
daß die Zensur der einzige Faktor ist, der die Traumentstellung verschuldet, und wirklich können
wir bei weiterem Studium des Traumes die Entdeckung machen, daß an diesem Effekt noch
andere Momente beteiligt sind. Das ist soviel, als sagten wir, auch wenn die Traumzensur
ausgeschaltet wäre, wären wir doch nicht imstande, die Träume zu verstehen, wäre der manifeste
Traum noch nicht mit den latenten Traumgedanken identisch.
Dieses andere Moment, das den Traum undurchsichtig macht, diesen neuen Beitrag zur
Traumentstellung entdecken wir, indem wir auf eine Lücke in unserer Technik aufmerksam
werden. Ich habe Ihnen schon zugestanden, daß den Analysierten zu einzelnen Elementen des
Traumes mitunter wirklich nichts einfällt. Freilich geschieht dies nicht so oft, wie diese es
behaupten; in sehr vielen Fällen läßt sich der Einfall doch noch durch Beharrlichkeit erzwingen.
Aber es bleiben doch Fälle übrig, in denen die Assoziation versagt, oder, wenn erzwungen, nicht
liefert, was wir von ihr erwarten. Geschieht dies während einer psychoanalytischen Behandlung,
so kommt ihm eine besondere Bedeutung zu, mit welcher wir es hier nicht zu tun haben. Es
ereignet sich aber auch bei der Traumdeutung mit normalen Personen oder bei der Deutung
eigener Träume. Überzeugt man sich, daß in solchen Fällen alles Drängen nichts nützt, so macht
man endlich die Entdeckung, daß der unerwünschte Zufall regelmäßig bei bestimmten
Traumelementen eintrifft, und fängt an, eine neue Gesetzmäßigkeit dort zu erkennen, wo man
zuerst nur ein ausnahmsweises Versagen der Technik zu erfahren glaubte.
Man kommt auf solche Weise zur Versuchung, diese »stummen« Traumelemente selbst zu
deuten, aus eigenen Mitteln eine Übersetzung derselben vorzunehmen. Es drängt sich einem auf,
daß man jedesmal einen befriedigenden Sinn erhält, wenn man sich dieser Ersetzung getraut,
während der Traum sinnlos bleibt und der Zusammenhang unterbrochen ist, solange man sich zu
solchem Eingriff nicht entschließt. Die Häufung vieler durchaus ähnlicher Fälle übernimmt es
dann, unserem zunächst schüchternen Versuch die geforderte Sicherheit zu geben. Ich stelle das
alles ein bißchen schematisch dar, aber zu Unterrichtszwecken ist es doch gestattet, und es ist
auch nicht verfälscht, sondern bloß vereinfacht.
Auf diese Weise erhält man für eine Reihe von Traumelementen konstante Übersetzungen, also
ganz ähnlich, wie man es in unseren populären Traumbüchern für alle geträumten Dinge findet.
Sie vergessen doch nicht, daß bei unserer Assoziationstechnik niemals konstante Ersetzungen der
Traumelemente zutage kommen.
Sie werden nun sofort sagen, dieser Weg zur Deutung erscheine Ihnen noch weit unsicherer und
angreifbarer als der frühere mittels der freien Einfälle. Aber es kommt doch noch etwas anderes
hinzu. Wenn man nämlich durch die Erfahrung genug solcher konstanter Ersetzungen gesammelt
hat, dann sagt man sich einmal, daß man diese Stücke der Traumdeutung tatsächlich aus eigener
Kenntnis hätte bestreiten sollen, daß sie wirklich ohne die Einfälle des Träumers verständlich
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin