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altes Fruchtbarkeitssymbol; der Pilz ist ein unzweifelhaftes Penissymbol, es gibt Pilze, die ihrer
unverkennbaren Ähnlichkeit mit dem männlichen Glied ihren systematischen Namen verdanken
(Phallus impudicus); das Hufeisen wiederholt den Umriß der weiblichen Geschlechtsöffnung,
und der Rauchfangkehrer, der die Leiter trägt, taugt in diese Gemeinschaft, weil er eine jener
Hantierungen übt, mit denen der Geschlechtsverkehr vulgärerweise verglichen wird (S. die
Anthropophyteia). Seine Leiter haben wir im Traume als Sexualsymbol kennengelernt; der
deutsche Sprachgebrauch kommt uns hier zu Hilfe, der uns zeigt, wie das Wort »steigen« in
exquisit sexuellem Sinn angewendet wird. Man sagt: »Den Frauen nachsteigen« und »ein alter
Steiger«. Im Französischen, wo die Stufe la marche heißt, finden wir ganz analog für einen alten
Lebemann den Ausdruck »un vieux marcheur«. Daß der Geschlechtsverkehr vieler großer Tiere
ein Steigen, Besteigen des Weibchens, zur Voraussetzung hat, ist diesem Zusammenhang
wahrscheinlich nicht fremd.
Das Abreißen eines Astes als symbolische Darstellung der Onanie stimmt nicht nur zu vulgären
Bezeichnungen des onanistischen Aktes, sondern hat auch weitgehende mythologische
Parallelen. Besonders merkwürdig ist aber die Darstellung der Onanie oder besser der Strafe
dafür, der Kastration, durch Zahnausfall und Zahnausreißen, weil sich dazu ein Gegenstück aus
der Völkerkunde findet, das den wenigsten Träumern bekannt sein dürfte. Es scheint mir nicht
zweifelhaft, daß die bei so vielen Völkern geübte Beschneidung ein Äquivalent und eine
Ablösung der Kastration ist. Und nun wird uns berichtet, daß in Australien gewisse primitive
Stämme die Beschneidung als Pubertätsritus ausführen (zur Mannbarkeitsfeier der Jugend),
während andere, ganz nahe wohnende, an Stelle dieses Aktes das Ausschlagen eines Zahnes
gesetzt haben.
Ich beende meine Darstellung mit diesen Proben. Es sind nur Proben; wir wissen mehr darüber,
und Sie mögen sich vorstellen, um wie viel reichhaltiger und interessanter eine derartige
Sammlung ausfallen würde, die nicht von Dilettanten wie wir, sondern von den richtigen
Fachleuten in der Mythologie, Anthropologie, Sprachwissenschaft, im Folklore angestellt wäre.
Es drängt uns zu einigen Folgerungen, die nicht erschöpfend sein können, aber uns viel zu
denken geben werden.
Fürs erste sind wir vor die Tatsache gestellt, daß dem Träumer die symbolische Ausdrucksweise
zu Gebote steht, die er im Wachen nicht kennt und nicht wiedererkennt. Das ist so verwunderlich,
wie wenn Sie die Entdeckung machen würden, daß Ihr Stubenmädchen Sanskrit versteht, obwohl
Sie wissen, daß sie in einem böhmischen Dorf geboren ist und es nie gelernt hat. Es ist nicht
leicht, diese Tatsache mit unseren psychologischen Anschauungen zu bewältigen. Wir können
nur sagen, die Kenntnis der Symbolik ist dem Träumer unbewußt, sie gehört seinem unbewußten
Geistesleben an. Wir kommen aber auch mit dieser Annahme nicht nach. Bisher hatten wir nur
notwendig, unbewußte Strebungen anzunehmen, solche, von denen man zeitweilig oder dauernd
nichts weiß. Jetzt aber handelt es sich um mehr, geradezu um unbewußte Kenntnisse, um
Denkbeziehungen, Vergleichungen zwischen verschiedenen Objekten, die dazu führen, daß das
eine konstant an Stelle des anderen gesetzt werden kann. Diese Vergleichungen werden nicht
jedesmal neu angestellt, sondern sie liegen bereit, sie sind ein- für allemal fertig; das geht ja aus
ihrer Übereinstimmung bei verschiedenen Personen, ja vielleicht Übereinstimmung trotz der
Sprachverschiedenheit, hervor.
Woher soll die Kenntnis dieser Symbolbeziehungen kommen? Der Sprachgebrauch deckt nur
einen kleinen Teil derselben. Die vielfältigen Parallelen aus anderen Gebieten sind dem Träumer
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin