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[33] Ein Beitrag eines andern Motivs zu diesem Zwangseinfall ist nicht abzuweisen: des
Wunsches, sie wehrlos gegen seine Absichten zu wissen.
[34] Man muß also zugeben, daß es für die Zwangsneurose zweierlei Wissen und Kennen gibt,
und darf mit dem gleichen Rechte behaupten, der Zwangskranke »kenne« seine Traumen, wie,
daß er sie nicht »kenne«. Er kennt sie nämlich, insofern er sie nicht vergessen hat, er kennt sie
nicht, da er nicht ihre Bedeutung erkennt. Es ist im normalen Leben oft auch nicht anders. Die
Kellner, die den Philosophen Schopenhauer in seinem Stammgasthaus zu bedienen pflegten,
»kannten« ihn in gewissem Sinne zu einer Zeit, da er sonst in und außerhalb Frankfurt unbekannt
war, aber nicht in dem Sinne, den wir heute mit der »Kenntnis« von Schopenhauer verbinden.
[35] Es ist hervorzuheben, daß die Flucht in die Krankheit ihm durch die Identifizierung mit dem
Vater ermöglicht wurde. Diese gestattete ihm die Regression der Affekte auf die Kindheitsreste.
[36] Vgl. Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (1905 d).
[37] Die Alternative war unvollständig. An den häufigsten Ausgang so vorzeitiger
Leidenschaftlichkeit, an den in Neurose, hatte der Vater nicht gedacht.
[38] Man hat es in den Psychoanalysen häufig mit solchen Begebenheiten aus den ersten
Kinderjahren zu tun, in denen die infantile Sexualtätigkeit zu gipfeln scheint und häufig durch
einen Unfall oder eine Bestrafung ein katastrophales Ende findet. Sie zeigen sich schattenhaft in
Traumen an, werden oft so deutlich, daß man sie greifbar zu besitzen vermeint, aber sie entziehen
sich doch der endgültigen Klarstellung, und wenn man nicht mit besonderer Vorsicht und mit
Geschick verfährt, muß man es unentschieden lassen, ob eine solche Szene wirklich vorgefallen
ist. Auf die richtige Spur der Deutung wird man durch die Erkenntnis geführt, daß von solchen
Szenen mehr als eine Version, oft sehr verschiedenartige, in der unbewußten Phantasie des
Patienten aufzuspüren sind. Wenn man in der Beurteilung der Realität nicht irregehen will, muß
man sich vor allem daran erinnern, daß die »Kindheitserinnerungen« der Menschen erst in einem
späteren Alter (meist zur Zeit der Pubertät) festgestellt und dabei einem komplizierten
Umarbeitungsprozeß unterzogen werden, welcher der Sagenbildung eines Volkes über seine
Urgeschichte durchaus analog ist. Es läßt sich deutlich erkennen, daß der heranwachsende
Mensch in diesen Phantasiebildungen über seine erste Kindheit das Andenken an seine
autoerotische Betätigung zu verwischen sucht, indem er seine Erinnerungsspuren auf die Stufe
der Objektliebe hebt, also wie ein richtiger Geschichtsschreiber die Vergangenheit im Lichte der
Gegenwart erblicken will. Daher die Überfülle von Verführungen und Attentaten in diesen
Phantasien, wo die Wirklichkeit sich auf autoerotische Betätigung und auf Anregung dazu durch
Zärtlichkeiten und Strafen beschränkt. Ferner wird man gewahr, daß der über seine Kindheit
Phantasierende seine Erinnerungen sexualisiert, d. h., daß er banale Erlebnisse mit seiner
Sexualbetätigung in Beziehung bringt, sein Sexualinteresse über sie ausdehnt, wobei er
wahrscheinlich den Spuren des wirklich vorhandenen Zusammenhanges nachfährt. Daß es nicht
die Absicht dieser Bemerkungen ist, die von mir behauptete Bedeutung der infantilen Sexualität
nachträglich durch die Reduktion auf das Sexualinteresse der Pubertät herabzusetzen, wird mir
jeder glauben, der die von mir mitgeteilte ›Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben‹ im
Gedächtnis hat. Ich beabsichtige nur, technische Anweisungen zur Auflösung jener
Phantasiebildungen zu geben, welche dazu bestimmt sind, das Bild jener infantilen
Sexualbetätigung zu verfälschen.
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin