Page - 10 - in Friedensgutachten 2020 - Im Schatten der Pandemie: letzte Chance für Europa
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↘ ZWISCHEN CYBERFRIEDEN UND CYBERKRIEG: RÜSTUNGSDYNAMIKEN
Weltweit war 2019 eine kontinuierliche Steigerung der Militärausgaben zu konstatieren.
Auch in Deutschland stiegen die Militärausgaben 2019 um 12 % auf 47,9 Mrd. €. Gleichzeitig
genehmigte die Bundesregierung 2019 einen neuen Rekordwert an Rüstungsexporten in
Höhe von mehr als acht Mrd. € – darunter an Länder, deren Menschenrechtssituation als
sehr schlecht eingestuft wird bzw. die sich aktiv an Kriegen beteiligen. Zudem werden ge-
genwärtig die Weichen für eine Europäisierung der Rüstungsproduktion gestellt. Es besteht
die Gefahr, dass hierdurch deutsche Rüstungsexportregelungen unterlaufen werden.
Die Corona-Pandemie wird in den kommenden Jahren eine globale Wirtschaftsrezession
auslösen. Ob eine Folge davon rückläufige Militärausgaben und Rüstungsexporte weltweit
und in Deutschland sein werden, ist offen. Angesichts der enormen Mittel, die zur wirt-
schaftlichen, sozialen und medizinischen Krisenbewältigung erforderlich sind, ist der
vorgesehene Aufwuchs der Militärausgaben auf den Prüfstand zu stellen.
Zugleich mehren sich seit Frühjahr 2020 die Anfragen an die Streitkräfte, neue zivile Betä-
tigungsfelder zu übernehmen, etwa beim Schutz kritischer Infrastruktur oder in der Ge-
sundheitsfürsorge. Sollte sogar Amtshilfe in Form militärischer Unterstützung der Polizei
beispielsweise bei Patrouillen angefordert werden, wird es wichtig sein, auch diese Maß-
nahmen über Auslaufklauseln zeitlich klar zu begrenzen. Die originäre Aufgabe des Militärs
ist die Landesverteidigung im Rahmen kollektiver Sicherheitssysteme. Bei der Übernahme
ziviler Aufgaben drohen Ineffizienz und eine Vermischung von militärischen mit nicht-militä-
rischen Funktionen.
Die ambivalenten Effekte eines Hineinwirkens des Militärs in die zivile Sphäre untersucht
das Friedensgutachten ausführlicher am Beispiel des Cyberraums. Viele Staaten verfügen
über militärische Cybereinheiten. Konzepte der Abschreckung und Vorwärtsverteidigung
gewinnen die Oberhand. In Abgrenzung dazu sollte die Bundesregierung vor allem die
Resilienz der deutschen Cyberinfrastruktur stärken und nicht in den Aufbau präemptiver
Kapazitäten investieren. Militärische Hackbacks sollten auf begründete Ausnahmefälle, die
der Zustimmung des Bundestags bedürfen, beschränkt bleiben. Um einem Wettrüsten im
Cyberraum entgegenzuwirken, muss die Bundesregierung grundlegende Normen bekräfti-
gen und unter dem Dach der VN für die gemeinsame Erarbeitung von Regeln werben: Dazu
gehören die Tabuisierung von Angriffen auf den Public Core des Internets sowie der Verzicht
auf Cyberattacken gegen kritische zivile Infrastrukturen. Um die Logik einer Vorwärtsvertei-
digung im Cyberraum zu durchbrechen, sollte Deutschland für die Einrichtung eines trans-
nationalen Attributionskomitees werben. Ausgaben für Militär
und Rüstung müssen
angesichts der Kosten
der Krise auf den
Prüfstand
Deutschland soll sich
für internationale
Regulierung des Cy-
berraums einsetzen
10 2020 / Im Schatten der Pandemie: letzte Chance für Europa / STELLUNGNAHME
Friedensgutachten 2020
Im Schatten der Pandemie: letzte Chance für Europa
- Title
- Friedensgutachten 2020
- Subtitle
- Im Schatten der Pandemie: letzte Chance für Europa
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5381-0
- Size
- 21.0 x 28.5 cm
- Pages
- 162
- Keywords
- Frieden, Bewaffnete Konflikte, Sicherheit, Internationale Politik, Entwicklungszusammenarbeit, Krieg, Gewalt, Politik, Konfliktforschung, Globalisierung, Politikwissenschaft
- Category
- Recht und Politik