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Auch wenn die Auslöser der Protestbewegungen im letzten Jahr sehr unterschiedlich
waren, richteten sie sich oft schnell gegen das politische Establishment als Ganzes.
Über 30 % aller Protestbewegungen 2019 lassen sich den Anti-Regierungs-Protesten
zuordnen, die somit die größte Einzelgruppe von Protestbewegungen darstellen.
Beispielhaft hierfür steht die „Revolution of Smiles“ in Algerien. Sie entstand Mitte
Februar 2019 mit dem Ziel, eine fünfte Amtszeit von Präsident Bouteflika zu verhin-
dern, dauert jedoch auch nach seinem Rücktritt noch an und zielt auf einen grund-
legenden Regimewandel. Ähnliche Protestbewegungen gegen eine weitere Amtszeit
eines amtierenden Präsidenten (Bolivien und Guinea) oder für faire und freie
Wahlen (Malawi und Russland) fanden in zahlreichen Ländern der Welt statt. Andere
Anti-Regierungs-Protestbewegungen richteten sich gegen die verbreitete Korruption
im Land, wie etwa in Indonesien, Irak, Südkorea, Libanon, Pakistan, Tschechien,
Puerto Rico und Peru. Der Auslöser einer zweiten Gruppe von fünf Protestbewegun-
gen waren Erhöhungen der Lebenshaltungskosten etwa durch Subventionskürzungen
→ 22 /78. Eine dritte Kategorie von Protesten, die sich der nationalstaatlichen Ebene
zuordnen lassen, betraf die Arbeitsrechte bestimmter Berufsgruppen. So sind Lehrer
in Jordanien, Marokko und Neuseeland für bessere Arbeitsbedingungen auf die
Straßen gegangen, in Tunesien protestierten neben Lehrern auch Beschäftigte anderer
Sektoren des öffentlichen Dienstes.
Ein europäisches Phänomen waren die zehn anti- oder pro-nationalistischen Protest-
bewegungen, u.a. für oder gegen die Unabhängigkeit einzelner Regionen. In Spanien
gab es zahlreiche Massenproteste für und gegen die Unabhängigkeit Kataloniens.
Auch die Schotten gingen für ihre Unabhängigkeit vom britischen Königreich auf die
Straße. In Griechenland demonstrierten über 100.000 Menschen dagegen, die Um-
benennung Mazedoniens in Nordmazedonien anzuerkennen. Ein „Unabhängigkeits-
marsch“ wurde von rechten Nationalisten in Polen organisiert, die den großen Einfluss
der EU und die Globalisierung allgemein ablehnten. Außerhalb Europas fanden auf
Kuba große nationalistische Proteste statt, die vom Regime organisiert wurden und
sich gegen die Verhängung von neuen US-amerikanischen Sanktionen richteten. In
Italien protestierte die Sardinen-Bewegung gegen den rechtspopulistischen Parteichef
der Lega Nord, Matteo Salvini.
In vielen Ländern griffen Massenproteste im vergangenen Jahr soziale Themen auf.
Internationale Aufmerksamkeit erzeugten unter anderem die sechs sehr großen
Protestbewegungen, die sich für mehr Frauenrechte stark machten und Gewalt gegen
Frauen verurteilten. Viel Beachtung erfuhr dabei Indien, ähnliche Massenbewegun-
gen waren allerdings auch in Brasilien, Frankreich, der Slowakei, der Schweiz, und
den USA zu beobachten. Die Klimabewegung brachte in insgesamt 15 Ländern große Die Mehrzahl der
Proteste 2019 waren
Anti-Regierungs-
Proteste 2
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friedensgutachten / 2020
Friedensgutachten 2020
Im Schatten der Pandemie: letzte Chance für Europa
- Title
- Friedensgutachten 2020
- Subtitle
- Im Schatten der Pandemie: letzte Chance für Europa
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5381-0
- Size
- 21.0 x 28.5 cm
- Pages
- 162
- Keywords
- Frieden, Bewaffnete Konflikte, Sicherheit, Internationale Politik, Entwicklungszusammenarbeit, Krieg, Gewalt, Politik, Konfliktforschung, Globalisierung, Politikwissenschaft
- Category
- Recht und Politik