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5.2 ↙ Der transnationale Rechtsterrorismus im digitalen Kontext
Der gegenwärtige Rechtsterrorismus lässt sich nicht isoliert vom transnationalen
Kontext rechtsextremer Diskurse, Organisationsformen und Mobilisierungen
betrachten. Aus ihnen gewinnt er einen guten Teil seiner Dynamik. Rechtsterroris-
ten sind häufig mit einem transnational vernetzten radikalen Milieu verbunden, aus
dem sie ideologische, aber auch infrastrukturelle und organisatorische Unterstützung
erhalten. Darüber hinaus nehmen sie auf Vorstellungen und Stimmungen Bezug, die
in einem breiteren weltumspannenden Diskurs des „Widerstands“ gegen Minderhei-
ten und politische und kulturelle Eliten oder Personen und Institutionen als feindlich
betrachtet werden.
Der Zusammenhang von rechten Diskursen und Gewalt wurde bisher vor allem mit
Blick auf sogenannte „Hassrede“ diskutiert. Die jüngere Forschung betont hingegen
die Bedeutung von „dangerous speech“, womit solche Erzählungen gemeint sind,
durch die Gewaltanwendung folgerichtig erscheint, ohne dass dies noch ausdrücklich
gesagt werden muss (→ Benesch 2014). Solche Erzählungen können „stochastische“
Anschläge inspirieren, bei denen sich Einzelne aus dem großen Kreis der Adressaten
eher zufällig von der Propaganda zur Tat ermuntert fühlen und die daher kaum vor-
hersagbar sind (→ Hamm/Spaaij 2017).
Als Ansporn rechter Gewalt kann insbesondere die Rede von „Bevölkerungsaus-
tausch“, „Umvolkung“, „Volkstod“ oder „white genocide“ gelten, mit der eine Notlage
behauptet wird, über die sich Gewalt legitimieren lässt. Solche Untergangserzählun-
gen motivieren viele rechtsterroristische Taten und fremdenfeindliche Angriffe, die
als heroische Akte gegen angebliche Invasoren intendiert sind. Sie werden nicht nur
durch Erzählungen von Bedrohung (z.B. Ausländergewalt) unterfüttert, sondern
gehen auch einher mit Verschwörungsbegriffen (z.B. Lügenpresse, Kulturmarxis-
mus) und gezielt gestreuten Falschmeldungen, die dem Establishment eine Mit-
schuld an der Bedrohung geben. Solche Erzählungen, die ihre Ursprünge im klassi-
schen Faschismus haben, sind nicht nur im militanten Rechtsextremismus
verbreitet, sondern werden von Parteien aus dem rechten Spektrum popularisiert.
Sie bieten dem Rechtsterrorismus somit zumindest Legitimationsargumente. Die
gegenseitige Vergewisserung bedroht zu sein, bereitet der ergänzenden Erzählung
von einer Verschwörung, die das Volk in Unwissen halte, ihren Raum. Sie kann als
Ermächtigung verstanden werden, an den Symbolfiguren der Bedrohung den ver-
meintlichen Volkswillen zu vollstrecken. Untergangserzäh-
lungen motivieren
rechtsterroristische
Taten
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150 2020 / Eine neue Welle des Rechtsterrorismus / TRANSNATIONALE SICHERHEITSRISIKEN
Friedensgutachten 2020
Im Schatten der Pandemie: letzte Chance für Europa
- Title
- Friedensgutachten 2020
- Subtitle
- Im Schatten der Pandemie: letzte Chance für Europa
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5381-0
- Size
- 21.0 x 28.5 cm
- Pages
- 162
- Keywords
- Frieden, Bewaffnete Konflikte, Sicherheit, Internationale Politik, Entwicklungszusammenarbeit, Krieg, Gewalt, Politik, Konfliktforschung, Globalisierung, Politikwissenschaft
- Category
- Recht und Politik