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nAchWort
hier ein Denken in vorwiegend druckbeanspruchten
Konstruktionen vorherrschte. Schon im 15. und 16. Jh.
gab es Pläne für Hängebrücken in Europa. Die erste
sehr kurze Kettenbrücke wurde aber erst im 18. Jh. in
England errichtet. Die vielen großen Kettenbrücken,
wie in Budapest, wurden erst im 19. Jh. gebaut, als
Joseph Chaley bereits einen Schritt weiter war und
mit Tragkabeln aus dünnsten Schmiedeeisendrähten
experimentierte.
Wie stark der Einfluss von Denkschemata, in denen ge-
dacht wird, alle Lebensbereiche fördern beziehungs-
weise hemmen kann, lässt sich auch an der Entwicklung
in der Neuen Welt gut zeigen. In der Neuen Welt war
das Prinzip des Schlusssteinbogens spätestens seit etwa
dem Beginn unserer Zeitrechnung bekannt, konnte sich
aber großflächig nicht durchsetzen, da hier das Den-
ken in zugbeanspruchten Konstruktionen vorherrschte.
Es gibt zwar in beiden Amerikas mehrere Beispiele
von sehr frühen Tonnengewölben und von Schlussstein-
bögen. Sie traten aber jeweils nur sehr vereinzelt auf.
Es wurde auch bislang keine einzige präkolumbische
Brücke in Amerika gefunden, die nach dem Prinzip des
Schlusssteinbogens konstruiert wurde.
Aus Kostengründen oder weil der Transportwiderstand
sehr groß war, haben sich in manchen Gebieten bis in
die jüngste Zeit Brücken aus schnell vergänglichen Ma-
terialien noch gehalten. Mit dem Bau von befahrbaren
Straßen sind diese aber alle im Laufe der zweiten Hälfte
des 20. Jh. gegen Hängebrücken mit den unvergleich-
lich länger haltenden Stahlseilen ausgetauscht worden.
So war es auch für den Autor schwierig, noch eine Brü-
cke aus vergänglichem Material zur Zeit des Wechsels
vom 20. ins 21. Jh. in Amerika zu finden. Die Q’eswa-
chaka Hängebrücke über den Apurimac in Peru war
wohl schon 2002 eine der letzten oder bereits die letz-
te derartige Brücke in den Amerikas. Ähnlich schwer tat
sich der Autor auch bei der Suche nach Hängebrücken
aus vergänglichem Material im Himalaya-Gebirge.
Spätestens knapp nach Beginn unserer Zeitrechnung
schmiedeten die Han-Chinesen bereits massive eiser-
ne Ketten für einen neuen Typus von deutlich lang-
lebigeren Hängebrücken. Dieses viel beständigere
und zugfestere Material war dann lange Zeit fixer Be-
standteil asiatischer Hängebrücken überall dort, wo
man sich so etwas leisten konnte. Noch heute soll es einige jahrhunderte alte Kettenbrücken in den Bergen
des Himalaya geben.
Mit den Eisendrähten von Marc Seguin und mit den
Schmiedeeisendrähten von Joseph Chaley wurde dann
aber eine völlig neue Konstruktionsweise für Hänge-
brücken Anfang des 19. Jh. kreiert. Das war genau zu
dem Zeitpunkt, als sich die Kettenbrücken rund 2000
Jahre nach den frühen chinesischen Kettenbrücken auch
in Europa durchzusetzen begannen.
Das Denken in vorwiegend druckbeanspruchten Kons-
truktionen ist den Europäern so selbstverständlich, dass
es von ihnen kaum wahrgenommen wird, obwohl es
praktisch alle Lebensbereiche durchdringt. Im Folgen-
den bringt der Autor daher einige Beispiele im Vergleich:
Wo die Guatemalteken oder die Nasca im heutigen
Peru Wasserkrüge mittels des Stirnlastbandes auf dem
Rücken tragen wurde bei uns noch bis vor 50 Jahren im
trockenen Süden Italiens oder in Spanien Wasserkrüge
auf einem druckausgleichenden Stoffring auf dem Kopf
getragen. Bei den Maya und auch bei den Vorinkakul-
turen saßen und schliefen Menschen in Hängematten,
bei uns hingegen sitzen sie auf Stühlen und schlafen in
auf dem Boden stehenden Betten. Für die gehobenen
Maya gab es Hängesänften, bei uns gab es Sänf-
ten in Sitzform. Bei den Maya werden Dinge des täg-
lichen Lebens in Netzen aufgehängt, die an Balken ihrer
Hüttenkonstruktionen gehängt werden; in ihren Stein-
bauten gab es dafür eigens Gewölbebalken in den
Vorkraggewölben zur Zeit der Maya-Klassik. Bei uns
werden derartige Dinge in Schränke geräumt. Klein-
kinder werden in Guatemala auch heute noch meist in
einem Tragtuch auf dem Rücken getragen, bei uns wer-
den sie im Kinderwagen geführt. Die Liste derartiger
Vergleiche lässt sich beliebig ausbauen und verlängern.
Es geht dabei jeweils nicht um Ausschließlichkeit son-
dern nur um signifikant starke Tendenzen.
Die Basiskultur im westlichen Europa und auch rund ums
Mittelmeer war die römische Kultur. Überall im Impe-
rium Romanum wurden eindrucksvolle Bauen mit riesi-
gen Betonkuppeln wie dem Pantheon oder am Ende
auch die Hagia Sofia in Konstantinopel errichtet und es
wurden riesigen Thermenanlagen mit gewaltigen Kup-
peln gebaut, über die Flüsse spannten sich bald in allen
Städten große Bogenbrücken. Vieles ging bis an die
Frühe Brücken
Zug- oder druckbeanspruchte Konstruktionen, kreative, innovative und interessante Brücken
- Title
- Frühe Brücken
- Subtitle
- Zug- oder druckbeanspruchte Konstruktionen, kreative, innovative und interessante Brücken
- Author
- Hasso Hohmann
- Publisher
- Technische Universität Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-833-2
- Size
- 20.0 x 27.0 cm
- Pages
- 306
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen