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Frühe Brücken
Zusammenfasssung
Es gibt sehr unterschiedliche Arten des Denkens. Für
Sprachwissenschaftler gibt es das Denken in Worten und
Sätzen unter Anwendung der entsprechenden Gramma-
tik. Daneben gibt es ein Denken in Bildern, das bildhafte
Denken. Architekten und Statiker sollten über ein mög-
lichst ausgeprägtes dreidimensionales, ein räumliches
Denken verfügen. Außerdem gibt es ein stark aus der
praktischen Lebenserfahrung von äußeren Parametern
oft geprägtes konstruktives Denken. Dieses betrifft natur-
gemäß auch die Brücken. Dabei handelt es sich aber
nicht nur um Brücken.
Beim konstruktiven Denken gilt es zumindest zwischen
zwei voneinander unterscheidbare Arten von konstrukti-
vem Denken zu unterscheiden. Es gibt Kulturen und Eth-
nien, in denen das Denken in zugbeanspruchten Kons-
truktionen deutlich vorherrscht und solche, bei denen
das Denken in druckbeanspruchten Konstruktionen do-
miniert. Auch an Hand der in dieser Arbeit bereits an-
gesprochenen Beispiele und Phänomene konnte gezeigt
werden, dass dieses Denken in konstruktiven Kategorien
den gesamten Lebensraum durchdringt und innovative
konstruktive Ideen unterstützen und auch behindern kann.
Hängebrücken beispielsweise wurden in Asien schon
in vorchristlicher Zeit aus vergänglichem Material her-
gestellt und die erste urkundlich belegte geschmiedete
Kettenbrücke wurde in China schon zu Beginn unserer
Zeitrechnung über ein Tal gespannt. Reisende aus Euro-
pa berichteten über die Jahrhunderte immer wieder von
diesen genialen Hängebrückenkonstruktionen. Euro-
pa war aber spätestens seit der Römerzeit von einem
Denken in druckbeanspruchten Konstruktionen so stark
geprägt, dass sich diese geniale Idee, Hängebrücken
über breitere Hindernisse hinweg zu spannen, erst im an-
gehenden 19. Jh., also fast 2000 Jahre nach der ersten
belegten geschmiedeten Ketten-Hängebrücke in China,
durchsetzte. Nach der großen Welle von europäischen
Hängebrücken nach 1800 kam es schon sehr bald zum
Austausch vieler von Ihnen gegen andere Konstruktions-
weisen. Erst die deutlich zugaufnahmefähigeren ge-
schmiedeten Eisendrähte und später die ersten Stahlseile
und die neuen Dimensionen, die damit im Brückenbau
erreicht werden konnten, setzten den Siegeszug von
Hängebrücken im 20. und 21. Jh. fort. Umgekehrt gab es bei den Maya in Mesoameri-
ka bereits im 1. Jh. n.Chr. die ersten nachgewiesenen
Tonnengewölbe. Auch später verwendete man im gan-
zen vorkolumbischen Amerika immer wieder vereinzelt
Schlusssteingewölbe. Trotz der vielen großen Möglich-
keiten dieser genialen Konstruktionsweise setzte sie sich
nirgends in Amerika durch und blieb die Ausnahme. Auch
hier stand das ausgeprägte Denken in Zugbeanspruchten
Konstruktionen offensichtlich im Wege.
Erst die Eroberer aus Europa brachten dann ab 1492 den
Umschwung. Seitdem wurden nur noch in entlegenen
Gebieten die traditionellen Hängebrücken weiterhin
über Flüsse und Schluchten gespannt. Sonst waren es
bei kurzen Distanzen Bogenbrücken oder Schiffsbrü-
cken bei breiten Flüssen und erst seit der Mitte des 19.
Jh. kamen zunehmend Eisen- und Stahlseilhängebrücken
zum Einsatz. Hier waren natürlich die großen Brücken in
New York und in San Francisco in den USA Vorbilder
für Lateinamerika. Für diese Brücken war aber das alte
Europa Vorbild, das die Ketten sehr bald durch Bündel
geschmiedeter Eisendrähte ab 1823 in Genf abzulösen
begann, bald danach durch Stahldrahtseile ersetzte und
diese innovative konstruktive Idee nach Nordamerika lie-
ferte. Seitdem scheint es keine kulturell oder ethnisch be-
dingten Barrieren im Brückenbau mehr zu geben.
Frühe Brücken
Zug- oder druckbeanspruchte Konstruktionen, kreative, innovative und interessante Brücken
- Title
- Frühe Brücken
- Subtitle
- Zug- oder druckbeanspruchte Konstruktionen, kreative, innovative und interessante Brücken
- Author
- Hasso Hohmann
- Publisher
- Technische Universität Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-833-2
- Size
- 20.0 x 27.0 cm
- Pages
- 306
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen