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Wennschliesslichgeltendgemachtwordenist,dassBrechtinseinerderzeitigen
Stellung kaumGelegenheit gehabt habe, über den ganzenUmfang des von
demWienerLiterarhistorikerzuvertretendenGebietesVorlesungenzuhalten,
so darf wol darauf hingewiesenwerden, dass Brecht durch die 6jährigeDo-
zententätigkeit anderUniversitätGöttingenmitakademischerTraditionund
akademischem Stil genau vertraut wurde, und dass sein Vortrag von Albert
Köster, einemMeister akademischer Beredsamkeit, in einem brieflich abge-
gebenen Gutachten, das der Kommission vorgelegen hat, als ,lebhaft und
anregend‘ gerühmt wurde.91 Wieviele der früheren Inhaber der Wiener
Lehrkanzel, wieviele Professoren überhaupt, sind wol mit dem schweren
Gespäck ihres ganzen Vorlesungszyklus in ihr Amt getreten?Man darf wol
sagen:Berufungen, bei denendieHoffnung aufweitere künftige Leistungen
nicht mitwirkt, wären vom Standpunkt unserer Universitäten kaum zu
wünschen; denn siemüssten allmählich zur Stagnation führen.92
KrauswiesdenMinisterdaraufhin,dass„eineinheitlicherVorschlag“zum
jetzigenZeitpunkt„nicht[mehr]zuerreichen“sei,unddieGefahrbestehe,
dass es zu den selben „Schwierigkeiten“ kommen würde wie an der
„Berliner Fakultät […], die sich einstweilen mit dem Notbehelf eines
Provisoriumsabgefundenhat“.KrauswarderMeinung,dassbei erneuten
Verhandlungennichtmehr „die Fachmänner […]dieZügel in derHand
hielten“, sondern sich „eine Liste zweiter Garnitur“, die er nicht weiter
konkretisierte, durchsetzenwürde:
Infolgedessen würden voraussichtlich alle Strömungen, die bei den Vor-
schlägengeradedieserLehrkanzel schonzubeobachtenwaren,mitverstärkter
Machtwiederkehren.
DieseStrömungen sindz.T. fachlicher, z.T.politischerundpersönlicherArt.
Fachlicher: indemdie einenvommodernenLiterarhistorikerwünschen,dass
er in erster Linie nach der philosophisch-ästhetischen Seite orientiert sei;
anderegebenderreinhistorischenRichtungdenVorzug;wiederanderestellen
denphilologischenBetrieb allen übrigenMethoden voran.
Schlimmer als die grundsätzlicheVerschiedenheit derAuffassung (denender
erste Vorschlag übrigens Rechnung getragen hat, indem er keine Richtung
einseitig bevorzugte) sind die Gefahren, die drohen, wenn politische Erwä-
gungen auf denVorschlag bestimmendwirken.
KrausprognostiziertedemMinister,dass, sollte er erneuteVerhandlungen
zulassen, „dieUnterrichtsverwaltung“ inÖsterreich „indieselbepeinliche
Lage“ käme wie die preußische angesichts der „aus parteipolitischen
Überzeugungenaufgestellte[n]Kampfkandidaten“fürdieProfessurander
91 DaserwähnteGutachtenvonAlbertKösterfindetsichwederimUniversitätsarchiv
noch imStaatsarchiv.
92 BriefvonKrausandasMinisteriumfürKultusundUnterrichtvom15.November
1913,ÖStA,AVA,MCU,Zl. 55233 ex 1913.
I. Die Verfasstheit derWiener
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Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Title
- Germanistik in Wien
- Subtitle
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Author
- Elisabeth Grabenweger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 290
- Keywords
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Category
- Lehrbücher