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ausschließlich der ErforschungNeuerer deutscher Literatur. Nach seiner
BerufungaufdiewenigrenommierteundschlechtdotierteProfessurander
Königlichen Ritterakademie in Posen erschien 1911 als nächste größere
ArbeitBrechtsStudieHeinseundderästhetischeImmoralismus.Darinzeigte
sichzumerstenMaldeutlichBrechtsmethodischePositionierungzwischen
Philologie und Geistesgeschichte. Neben ausgedehnten Quellenstudien,
die vor allem im zweitenAbschnitt „Mitteilungen ausHeinsesNachlass“
zumTragen kommen,widmete sichBrecht nämlich auchder Frage, „auf
welchemBoden[Heinses] individualistischeIdeengewachsen“seien.Diese
beabsichtigteBrecht sowohl „nach rückwärts [zu] verbinden“als auch im
„Zusammenhang mit neuesten Ideen“ zu betrachten, um den Autor in
„seiner historischenGesamtbedeutung [zu] erfassen“.138
Posen als akademische Wirkungsstätte war nicht nach Brechts Ge-
schmack; bereits ein Jahrnach seinerBerufungbeklagte er in einemBrief
anEdwardSchröderdie„vollständigeTraditionslosigkeit“derHochschule,
den „heterogenen Lehrkörper“ und die Niveaulosigkeit der Studenten
(„ziemlichübelesMaterial“):„AufdieDauermöchte ichnichthier sein.“139
Hatten sichRoethe undSchröder bis dahin stets umBrechts universitäre
Karriere bemüht, Roethe Brechts wissenschaftliche Begabung zeitweise
sogar als eine ihm überlegene eingestuft,140 so endete Brechts Rolle als
Protegé spätestens imWinter 1912/13:NachdemTodAdelheidBrechts
imAugust1911verlobtesichBrechtimDezember1912mitErikaLeo,der
Tochter desGöttinger Latinisten Friedrich Leo.Roethewar entsetzt: „Ist
denndemMenschen soganzdasGefühl geschwunden,daß solchegerm.-
jüdische Alliancen etwas Häßliches und Unnatürliches sind? Meine
Schätzung B[recht]s ist in letzter Zeit sowieso nicht gestiegen; diese
138 Brecht:Heinse undder ästhetische Immoralismus (1911), S.VII.
139 Brief vonBrecht an Schröder vom6. Februar 1911; zit. n.Oels: „Denkmal der
schönstenGemeinschaft“ (2007), S. 26.
140 So zumBeispiel in einemBrief an Edward Schröder vom26. September 1904:
„Was sich der weniger begabte und ursprünglich auch weniger selbständige
Manheimer inunermüdlicher strenger höchst respectabler Selbstzucht aneignete,
das fielBrecht,derdamalsübrigensauchangespannt, jaenthusiastisch fleißigwar,
mit einer Selbstverständlichkeit zu, die ich bewundert habe und in der ich etwas
mirÜberlegenesempfand.[…]IchhabeanihndieAnhänglichkeit,dieeinmir im
Wesentlichen überlegenes Talent erweckt […].“ Zit. n. Oels: „Denkmal der
schönstenGemeinschaft“ (2007), S. 14. –Der hier erwähnteVictorManheimer
(1877–1943) studierte inBerlin,Freiburg,MünchenundGöttingen,woer1903
aufgrundderArbeitDieLyrik des AndreasGryphiuspromovierte.
I.3. Philologie undmoderate Geistesgeschichte 45
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Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Title
- Germanistik in Wien
- Subtitle
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Author
- Elisabeth Grabenweger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 290
- Keywords
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Category
- Lehrbücher