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egoistischeWeichlichkeitgingmirdochüberdenSpaß.“141Dassbereitsdie
Großeltern von Erika Leo konvertiert waren, war für Roethe, „dessen
Antisemitismus in den Zehner- und Zwanzigerjahren auch zu seinem
beherrschenden wissenschaftspolitischen Argument“142wurde, nicht von
Belang:„Mischehen[werden]durchdasTaufwasserauchnichterträglicher
[…].“143BrechtsHoffnungenaufeineProfessur inKönigsbergoderBerlin
wurdenvonRoethe abdiesemZeitpunktuntergraben; „als Jüdinnengatte
und durch seine geringe Leistungsfähigkeit“144 kam Brecht für Roethe
nichtmehr inFrage.
NahezuzeitgleicherfuhrBrecht jedoch imJänner1913,dassCarl von
Kraus ihn für dieWiener Professur in Betracht zog.145Nach langenVer-
handlungen, Separatvotumund der persönlichen Empfehlung durchAl-
bert Köster, der dasWienerOrdinariat abgelehnt hatte, war die Angele-
genheit,wie erwähnt, imMärz1914zugunstenBrechts entschieden.146 In
Wien traf Brecht hinsichtlich der Richtungsstreitereien innerhalb der
NeuerendeutschenLiteraturgeschichte auf eine heikle Situation; noch in
denNachrufenwurdegeradedaraufhingewiesen.BeiHeinzKindermann,
BrechtsWienerSchülerundspäteremnationalsozialistischenOpponenten,
hieß es 1950:
Als […]Brecht […]1914 alsNachfolger JakobMinors an dieWienerUni-
versität berufen wurde, stand er vor einer fachlich unsagbar schwierigen
Aufgabe.DieWienerLehrkanzel fürneueredeutscheLiteraturgeschichtegalt
seit denZeiten Scherers undErich Schmidts alsHochburgdesPositivismus.
AuchMinor war neuerlich ein hervorragender Vertreter der positivistisch-
philologischenMethode gewesen. Indessen aber hatte sich imübrigen deut-
schen Sprachgebiet seit demVorstoßDiltheys undUngers vieles verändert.
Die geistesgeschichtliche Richtung der Literaturwissenschaft war in voller
Entwicklung. So betrachtete es Brecht, der selbst einer ästhetischen For-
schungsweise zuneigte, als eine seiner wichtigsten Aufgaben, denÜbergang
vomPositivismuszurgeistesgeschichtlichenLiteraturbetrachtungzuschaffen.
Ohne das gesicherte philologische Fundament zu verlassen, eröffnete er in
141 Roethe/Schröder: Regesten zumBriefwechsel (2000), Bd. 2, S. 619 (Brief von
Roethe an Schröder vom16.Dezember 1912).
142 Oels: „Denkmal der schönstenGemeinschaft“ (2007), S. 28
143 BriefvonRoetheanSchrödervom16.Dezember1912;zit.n.Oels:„Denkmalder
schönstenGemeinschaft“ (2007), S. 28.
144 Roethe/Schröder: Regesten zumBriefwechsel (2000), Bd. 2, S. 636 (Brief von
Roethe an Schröder vom7.Mai 1913).
145 Brief vonBrechtanEdwardSchrödervom7.Jänner1913;zit.n.Oels: „Denkmal
der schönstenGemeinschaft“ (2007), S. 29.
146 Vgl.Kap. I.2. I. Die Verfasstheit derWiener
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Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Title
- Germanistik in Wien
- Subtitle
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Author
- Elisabeth Grabenweger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 290
- Keywords
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Category
- Lehrbücher