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Germanistenvereins, für die auch Brecht einen Beitrag verfasste,168 dass
„gerade die der romantischen Vorstellungs- und Empfindungswelt ent-
springende Nationalphilologie dazu berufen sei, gegenwärtig die wich-
tigstenDinge zu leisten“, weshalb es von besonderer Bedeutung sei, „die
wissenschaftlichen Erkenntnisse des germanistischen Studiums auf dem
Gebiete derVolkserziehung undPflege desHeimatgedankens nutzbar zu
machen“.169 Und als im Wintersemester 1924/25 auf Drängen der
Deutschen Studentenschaft, einer Dachorganisation klerikalkonservativer
und deutschvölkischer Studenten, unter dem Titel „Wesen und Ent-
wicklung des deutschen Geistes“ ein Vorlesungszyklus für Hörer aller
Fakultäten über ,Deutschtumskunde‘ eingerichtet wurde, war Brechtmit
einem Vortrag über „Deutsche Dichtung“ von Beginn an beteiligt.170
Brecht selbst schrieb noch 1941, nachdem er inMünchen wegen seiner
„nichtarische[n]Ehefrau“171 zwangspensioniertwordenwar,dass esdarauf
ankomme,„die strömendeFülleundendloseWeitedesdeutschenWesens
zuunmittelbarerAnschauung“zubringen,unddass „Männerda sind,die
einen Kosmos, einen deutsch gesehenen Kosmos in sich tragen“, um
„durch ihr Beispiel auf diejenigen [zu] wirken, die vor ihnen sitzen“.172
Während sich in der politischenGesinnung Brechts überOrts- und
Regimewechsel hinweg eine Kontinuität ausmachen lässt, fällt seine
Wiener Berufungmit einer Zäsur hinsichtlich seiner wissenschaftlichen
Ausrichtung zusammen. Hatte Brecht bislang – mit Ausnahme seines
Buchs über Wilhelm Heinse – seinen Forschungsschwerpunkt auf die
LiteraturdesMittelalters unddes16. Jahrhunderts gelegt, spezialisierte er
sichnun zusehends imBereichNeuerer undneuester deutscherLiteratur.
In seiner zweiten selbständigenWiener Veröffentlichung nachDeutsche
Kriegslieder sonst und jetztbeschäftigte sichBrecht 1918 erneutmitLyrik,
diesmal abermitConradFerdinandMeyer.Brecht zeigte in seinemBuch
ConradFerdinandMeyer unddasKunstwerk seinerGedichtsammlung, dass
die Anordnung und Kompositionsprinzipien, die Meyer seinem Ge-
168 Brecht:Heine, Platen, Immermann (1925).
169 Akademischer Verein der Germanisten in Wien (Hg.): Germanistische For-
schungen (1925), S. 1 (Vorwort derHerausgeber).
170 Höflechner:DieBaumeister des künftigenGlücks (1988), S. 346–347.
171 UAM,PAWalther Brecht; zit. n.Oels: „Denkmal der schönstenGemeinschaft“
(2007), S. 80.
172 Brecht: Student undProfessor (1941), S. 2.
I.3. Philologie undmoderate Geistesgeschichte 51
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Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Title
- Germanistik in Wien
- Subtitle
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Author
- Elisabeth Grabenweger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 290
- Keywords
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Category
- Lehrbücher