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DerWegistda,aberdasLand,durchdaser führt,wirdbaldunkenntlichsein.
Nur als Teil des großen Mutterlandes kann Österreich sich retten; wird
ÖsterreichÖsterreich bleiben.194
Brechts Überlegungen zur österreichischen Literatur, die ihn hier unter
demEindruck des Zusammenbruchs derMonarchie und inAbgrenzung
zur ErstenÖsterreichischen Republik wie selbstverständlich den – nicht
nur kulturellen –Anschluss anDeutschlandpostulieren ließen, bekamen
elf JahrespätereineganzandereFärbung.Indem1931erschienenen,seine
bisherigen Erörterungen zur österreichischen Literatur zusammenfassen-
den Aufsatz „Österreichische Geistesform und österreichische Dich-
tung“,195denBrechtbereitsalsOrdinariusinMünchenverfasste,änderteer
seinenBlickwinkelnachdrücklich.Brecht vertratdarinnichtmehr auf ein
einheitlichesDeutschesReich gerichtete Standpunkte, sondernknüpfte –
Nadler rückwärts überspringend – an ältere, differenziertere Forschungs-
paradigmen an, wie sie August Sauer und seine Generation vertreten
hatten. Sobestimmte er nundieAusrichtung einer österreichischenLite-
raturforschung im Sinne von Sauers Charakteristik, nach der die öster-
reichische Literatur im Spannungsfeld zwischen den anderen deutschen
und den anderssprachigen Literaturen der Habsburgermonarchie be-
schriebenwerden sollte:
Wie denn die schwierige Aufgabe einer allgemeinen österreichischen Litera-
turgeschichte, die vom altenGesamtstaate ausginge, eigentlich darin zu be-
stehen hätte, die deutsch geschriebene, aber von andernNationalitäten des
Reiches an bestimmten Punkten vielfach tingierte Literatur der Deutsch-
österreicher von der fremdsprachig oder auch noch deutsch geschriebenen
Literatur der „Nationalitäten“ einerseits zu unterscheiden, aber auch an den
Punkten,wodieseElementeunlöslichundununterscheidbarsichamalgamiert
haben, diese vonGeschichte undNatur geschaffene Verbundenheit anzuer-
kennenunddie so komplexenGebildemethodisch zuuntersuchen.Trifft es
nicht zu, in der deutsch geschriebenen österreichischen Literatur ausschließ-
lich die literarischeHervorbringung eines deutschen Stammes zu sehenwie
andrerauch–niemandwirdvonihrrein indemSinnesprechenwievoneiner
rheinländischen oder hessischen – so geht es auf der anderen Seite wohl zu
194 Brecht:WesenundWerdenderdeutsch-österreichischenLiteratur(1920),S.349–
350.
195 IndemAufsatzübernahmBrechtÜberlegungenundFormulierungenausBrecht:
WienunddiedeutscheLiteratur (1924);ders.:OesterreichischeGeistesformund
oesterreichische Dichtung I (1929); ders.: Die Wesensart des Oesterreichers
(1929). I.3. Philologie undmoderate Geistesgeschichte 57
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Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Title
- Germanistik in Wien
- Subtitle
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Author
- Elisabeth Grabenweger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 290
- Keywords
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Category
- Lehrbücher