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generation auf. Die Annäherung zwischenDichter undGermanist, zwi-
schen Kunst undWissenschaft war kein auf Brecht undHofmannsthal
beschränktes Phänomen, sondern markiert einen „wissenschaftsge-
schichtlichen Umschwung in der Deutschen Philologie der zwanziger
Jahre“216, der nicht nur die Erkenntnis- undDarstellungsweise des Fachs
beeinflusste, sondern auch konkrete institutionelle Auswirkungen hatte.
Ein „aufschlußreiches Symptom“ diesesWandels lässt sich nämlich, wie
ErnstOsterkamp konstatierte, imKonflikt umdieNachfolge von Franz
Muncker inMünchen 1926/27 feststellen: „[N]ie zuvor wohl und auch
späternichthabenbedeutendedeutscheSchriftsteller in solchemAusmaß
aufdieBesetzungeinesLehrstuhls fürNeueredeutscheLiteraturgeschichte
Einfluß zu nehmen versucht […].“217Nutznießer dieser Auseinanderset-
zung, an der sich nebenHugo vonHofmannsthal auch ThomasMann,
RudolfBorchardt,RudolfAlexanderSchröderundMitgliederdesGeorge-
Kreises beteiligten,warWaltherBrecht, der imMai1927nachMünchen
berufenwurde.218
Uneingeschränkte Anerkennung sowohl vonHofmannsthal als auch
vonVertretern des Fachs und Studierenden erhielt Brecht für seine uni-
versitäre Lehre. In den zu seinen Lebzeiten unveröffentlicht gebliebenen
„Notaten für einen Aufsatz über Walther Brecht“ ging Hofmannsthal
anlässlich von BrechtsWeggang ausWien 1926 gerade auch auf diesen
Aspekt des Aufgabenbereichs eines Universitätsprofessors ein: „Das Se-
mester geht zuEnde.Es ist das letzte, dasProfessorW.Brecht lehrend an
dieserUniversität verbringenwird.DieUniversität besitzt vieleGelehrte
vonRang: in Brecht verliert sie was schlechthin niemals zu ersetzbar ist:
eineLehrerpersönlichkeit.“219DasGutachten, dasCarl vonKraus für die
Muncker-Nachfolge verfasste, konzentrierte sich ebenfalls auf Brechts
Lehrtätigkeit:
Der ungewöhnliche Lehrerfolg tritt auch nach Außen hin zu Tage: in der
warmenAnerkennung,mit der Studenten,KollegenunddieOeffentlichkeit
denvonWienScheidendenbedachten,vorallemaber inderTatsache,dass er
dort vierDozenten zurücklässt, die seine Schüler sind (Touaillon undThal-
mann,KindermannundCysarz).DieVerschiedenheit ihrer Richtungen be-
216 Osterkamp:„VerschmelzungderkritischenundderdichterischenSphäre“(1989),
S. 348.
217 Osterkamp:„VerschmelzungderkritischenundderdichterischenSphäre“(1989),
S. 348.
218 Vgl. dazu Osterkamp: „Verschmelzung der kritischen und der dichterischen
Sphäre“ (1989);Dittmann:Carl vonKraus über Josef Nadler (1999).
219 Hofmannsthal:Notate für einenAufsatz überWaltherBrecht (2005), S. 182.
I. Die Verfasstheit derWiener
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Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Title
- Germanistik in Wien
- Subtitle
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Author
- Elisabeth Grabenweger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 290
- Keywords
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Category
- Lehrbücher