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kundet, wiemannigfaltig die Anregungen sind, die der feinorganisierte und
für jede,nichtbloss fürdie literarischeKunstverständnisvolleMannzugeben
vermag.
DieUniversität würde an ihm einen hervorragenden Lehrer und einen
ebensomethodischwie ästhetisch gebildetenForscher gewinnen.220
HerbertCysarzerinnertesich1976anseinen„literaturhistorische[n]Lehr-
undFechtmeister“WaltherBrecht,beidemernachdemErstenWeltkrieg
studiert hatte und von dem er auch über seineDozententätigkeit hinaus
gefördert wurde, ebenfalls als „eine[n] der weitaus begabtesten […]Ger-
manisten“, dessen „allseitige Offenheit […] ihn jeden Dissertanten zu
dessen Bestmöglichen anspornen“ ließ und von dem „[v]iele seiner pro-
duktivenEinfälle indieArbeitenseinerSchülereingegangen“waren.„[E]r
half immer so freigebig wie unvermerkt“ und vereinte, soCysarz weiter,
„seine philologischeGewissenhaftigkeit“mit der Fähigkeit, „Dichtungen
[…]wie ein schöpferischerMusiker Partituren“ zu lesen.Welche Bedeu-
tungBrecht fürseineeigeneArbeithatteundwieerBrechtsUnterrichtmit
Blick aufmethodische und thematische Auseinandersetzungen innerhalb
des Fachs und imUnterschied zur universitären Lehre vor dessen Amts-
antritt wahrnahm, erklärte Cysarzmit dem ihm eigenenHang zumme-
taphernreichen Sprachgebrauch:
InmeinemFallhatBrechtmit freundwilligerSympathieErzundSchlackezu
scheiden, die originären Energien monoklin zu entwickeln, zugleich in
FühlungmitderSprach-undWerk-Untersuchungzuhaltengetrachtet.Erhat
die Ideenhistorie, die theoretischenKonvergenzenvonBildundBegriffusw.,
immer als eineRichtung unter anderen und als Forschungsfeld einer beson-
deren Anlage angesehen. Aber die Richtung dünkte ihn hier nicht nurmit
überzeugender Potenz ergriffen, sondern auch entscheidender Sprengungen
der amusischenStoffhuberei, neuer LichtungenundLeistungen fähig.Krieg
undNachkriegselendriefennachprimordialer,universellerRechtfertigungdes
„Luxus“ Literaturwissenschaft. Der Expressionismus, die ungeheuren Um-
schwüngeinsgemeinverlangtenaufvieleWeisendanach,DenkenundFormen
in eine umfassende Esse zu werfen. Und gerade damals drohte viel herge-
brachter Literatur-Unterricht in dichtungsfremde Materialienkunde und
Biographik zu versacken.221
Dochnicht nur Brechts Bemühungen umeinenAusgleich zwischen ver-
schiedenen Ansätzen in der zeitgenössischen Literaturwissenschaft und
seine Fähigkeit, diplomatisch Übergänge zu schaffen, wurden gerühmt,
220 GutachtenvonCarl vonKrausüberWaltherBrecht,o.D.; zit.n.Bonk:Deutsche
Philologie inMünchen (1995), S. 69.
221 AlleZitate:Cysarz:Vielfelderwirtschaft (1976), S. 34–36.
I.3. Philologie undmoderate Geistesgeschichte 63
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Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Title
- Germanistik in Wien
- Subtitle
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Author
- Elisabeth Grabenweger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 290
- Keywords
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Category
- Lehrbücher