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Sinn,dass erNachwuchswissenschaftlerumsich scharte,diemethodische,
thematische,habituelleundsozialeÄhnlichkeitenmit ihmaufwiesenoder
zumindest versuchten, sich diese Ähnlichkeiten anzueignen, hat Brecht
damit nicht begründet. Seine Protegés machten – mit Ausnahme der
„habilit. älteren FrauDr. Touaillon u. Payer von Thurn“241 – trotzdem
Karriere.
Nach Christine Touaillon, deren Habilitationsverfahren Brecht von
seinen Grazer Kollegen übernahm und die 1921 die Venia Legendi er-
hielt,242 und demhier erwähntenBibliothekar Rudolf Payer vonThurn,
der sich nur zwei Jahre vor seiner Pensionierung ebenfalls 1921 inWien
habilitierte, war Brecht noch für vier weitere Privatdozenten verantwort-
lich.Unter ihnenbefanden sich auch (spätere)Nationalsozialisten.
So habilitierte sich 1922 unter der Ägide vonBrechtHerbert Cysarz
mit derArbeitDeutsche Barockdichtung, die 1924 auch als Buch erschien
undmit der sichCysarz in die geistesgeschichtlich ausgerichteteNeube-
wertung der Literatur des 17. Jahrhunderts in den 1920er Jahren ein-
schrieb.243Cysarzerhielt1926denTiteleinesaußerordentlichenProfessors
inWien,wurde1929alsNachfolgerAugustSauersnachPragberufenund
übernahm1938nach dessenZwangspensionierung dasOrdinariat seines
LehrersWalther Brecht inMünchen.Cysarz, der sich stets der geistesge-
schichtlich orientierten Literaturbetrachtung widmete, wurde in Prag
Mitglied der Sudetendeutschen Partei und beantragte 1939 die Über-
nahmeindieNSDAP.1945wurdeCysarzvomDienstenthobenund1946
entlassen.244
1924habilitierten sich bei BrechtHeinzKindermannundMarianne
Thalmann.KindermannwarbereitswährendseinerStudienzeit inWienab
1915mitderLeitungderBibliothekdesSeminars fürDeutschePhilologie
betrautund fungierte als studentischerMitarbeiter vonWaltherBrecht.245
241 Brief von Brecht anKluckhohn vom2. August 1921;DLAMarbach, Bestand:
PaulKluckhohn.
242 ZuTouaillon vgl.Kap. II.
243 ZuCysarz’ Barockdarstellung vgl.Kiesant:DieWiederentdeckung derBarockli-
teratur (1993), S. 86–87;Müller: Barockforschung (1973), S. 149–160.
244 Vgl.Müller:DasKonzepteiner„Gesamtwissenschaft“beiHerbertCysarz(2006);
Bonk:Deutsche Philologie inMünchen (1995), S. 290–321.
245 In dieser Funktion begegnete Kindermann seinen jüdischenKommilitonenmit
Ausgrenzung und Verachtung: „Der Assistent von Brecht dagegen, Dr. Heinz
Kindermann, konnte Roth nicht leiden, ebenso auch uns nicht als Nicht-Ger-
manen.Kaum,daß er sichherabließ, unsere Fragen zubeantworten. […]Heute,
voneiner soentferntenPerspektiveausgesehen,erscheintmitDr.Kindermannals
I. Die Verfasstheit derWiener
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Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Title
- Germanistik in Wien
- Subtitle
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Author
- Elisabeth Grabenweger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 290
- Keywords
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Category
- Lehrbücher