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Mit demMachtantritt der Nationalsozialisten 1933 wurde Brechts
Lage jedoch zusehends schwieriger. Bereits 1934 versuchte die Hoch-
schulkommission der NSDAP Brecht, den sie als „untragbar und nicht
mehr dienstfähig“266 bezeichnete, von seiner Professur zu entfernen.
Endgültig in den zwangsweisenRuhestand versetzt wurdeBrecht im Juli
1937 aufgrund des ,Gesetzes zurWiederherstellung des Berufsbeamten-
tums‘ wegen „nichtarischer Ehefrau“.267 Brecht blieb mit seiner Frau
währendderZeit desNationalsozialismus inMünchen,wo er am1. Juni
1950 starb.
InWienhatteBrecht inden1910erund1920er JahrendenÜbergang
zur Massenuniversität geleitet und dafür gesorgt, dass die methodische
Ausweitung undDifferenzierung des Fachs nicht zu einer zumStillstand
führendenMachtdemonstrationwiderstreitenderAkteurewurden, indem
er sich, wie selbst Nadler in seinemNachruf zugebenmusste, „aus den
völlig unergiebigen ,Richtungskämpfen‘ nach 1918 herausgehalten“268
hatte. Brecht trat nicht durch ein ausgeprägtes eigenes wissenschaftliches
Profilhervor;er schlugsichwederaufdieSeitederWissenschaftler,diedie
,alte‘philologischeAusrichtungvertraten,nochaufdieSeitederer,dieeine
unbedingt geistesgeschichtlicheNeuorientierung des Fachs propagierten.
Vielmehr vereinte er eine „philologische und gleichzeitigmoderat geistes-
geschichtliche Ausrichtung“269: Er betriebQuellenstudien, biographische
Forschungen undTextkritik, war aber an keiner der großenAutorenedi-
tionen beteiligt und lieferte keine reinenMaterialsammlungen. Zugleich
war Brecht vom ersten Heft an einer derMitherausgeber der von Paul
KluckhohnundErichRothackergeleitetenDeutschenVierteljahrsschrift für
Literaturwissenschaft undGeistesgeschichte,270 in der, wie es zielsetzend im
Eröffnungsband heißt, „[n]eben der geistesgeschichtlichen Richtung,
vornehmlichDiltheyscher Schule, […] besonders die form- und stilana-
lytische gepflegt werden“271 sollte. Für die Literaturgeschichte als reine
Geistesgeschichte interessierte sich Brecht aber, wie Cysarz in Bezug auf
266 Aktennotiz vom 31. Oktober 1934 (Referent Dr. v. Kloeber); zit. n. Bonk:
DeutschePhilologie inMünchen (1995), S. 82.
267 UAM,PAWalther Brecht; zit. n.Oels: „Denkmal der schönstenGemeinschaft“
(2007),S.80.ZuBrechtsAmtsenthebungvgl. auchBonk:DeutschePhilologie in
München (1995), S. 81–83.
268 Nadler:WaltherBrecht [Nekrolog] (1951), S. 381.
269 Oels: „Denkmal der schönstenGemeinschaft“ (2007), S. 30.
270 Brecht erscheint von1923bis 1936 auf demTitelblatt derZeitschrift.
271 [Kluckhohn/Rothacker:] Vorwort [zum ersten Heft derDeutschen Vierteljahrs-
schrift] (1923), S.VI.
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Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Title
- Germanistik in Wien
- Subtitle
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Author
- Elisabeth Grabenweger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 290
- Keywords
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Category
- Lehrbücher