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seineprogrammatischeSchriftLiteraturgeschichtealsGeisteswissenschaftvon
1926bemerkte, „mehr rezeptiv als aktiv; sie erschien ihmzukunftshaltig,
ohnedaßerdieNeugermanistikmitdenneuenSichtenidentifiziertwissen
wollte“272. Über zeitgenössische Bemühungen, allein denKunstwerkcha-
rakter von Literatur zumGegenstand der Forschung zumachen, schrieb
Brecht 1924 an Kluckhohn: „Die meisten Kollegen sind teils modern
verrannt, teils altmodisch verstockt, ich traue Wenigen ein wirklich
künstlerisches Urteil zu (am wenigsten dem instinktlosen Walzel, über
dessenästhetischeBemühungenmanmanchmallächelnsieht,u.nichtganz
mitUnrecht).“273
Brecht selbst nahm zumeist eine Zwischenposition ein. In seinen
Beiträgen überHugo vonHofmannsthal bemühte er sich, sowohl litera-
rischen als auchwissenschaftlichenErkenntnisansprüchen zugenügen; in
seinemBuchConrad FerdinandMeyer und das Kunstwerk seiner Gedicht-
sammlung von 1918 versuchte er, ausgedehnteQuellenstudien undMa-
terialsammlungen (denen zeitgenössisch zumeist einMangel an Synthese
vorgeworfen wurde) anhand seiner These vom besonderen Bedeutungs-
zuwachs einerGedichtsammlungdurchderenStrukturundKomposition
zueiner, das gesammelteMaterial vereinigendenErzählung zuverbinden.
Mit Blick auf die wissenschaftsinternen Auseinandersetzungen und die
Verfasstheit des FachsDeutschePhilologie imerstenDrittel des 20. Jahr-
hunderts lässt sichBrecht alsÜbergangs- und Integrationsfigurbegreifen.
BesonderenNachruhmoderEinfluss auf dieWissenschaftsgeschichte der
Germanistik bescherte ihmdieseHaltung nicht.274 Für dieWienerGer-
manistik lässt sich aber feststellen, dass bis zur Bildungsexpansion in den
1970er Jahrennichtmehr sovieleundvor allemnicht sounterschiedliche
Wissenschaftler innerhalb so kurzer Zeit in der neueren Abteilung habi-
litiert wurden und dass darüber hinaus nie wieder zwei oder mehr Pri-
vatdozentinnen derNeueren deutschen Literaturwissenschaft gleichzeitig
am Institut tätigwaren.
272 Cysarz:Vielfelderwirtschaft (1976), S. 37.
273 BriefvonBrechtanKluckhohnvomOstermontag1924;DLAMarbach,Bestand:
DeutscheVierteljahrsschrift.
274 SostellteDavidOels fest,dassdie„Erklärung“,warumüberBrecht„inAnbetracht
seines schmalen und eher unbedeutendenwissenschaftlichenWerkes“ überhaupt
geforscht wird, allein in seiner „Freundschaft mitHugo vonHofmannsthal“ zu
finden sei. Oels: „… denn unsere Berufe sind doch so ineinander verhäkelt“
(2007), S. 50. I.3. Philologie undmoderate Geistesgeschichte 75
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Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Title
- Germanistik in Wien
- Subtitle
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Author
- Elisabeth Grabenweger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 290
- Keywords
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Category
- Lehrbücher