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I.4. PaulKluckhohn, Josef Nadler
unddas Ende der Privatdozenten
NachdemWaltherBrechterfahrenhatte,dasser fürdieBreslauerProfessur
in Betracht kam, traf er umgehend Vorbereitungen, seinen langjährigen
FreundundKorrespondenzpartnerPaulKluckhohnals seinenNachfolger
auf derWiener Lehrkanzel in Stellung zu bringen. Bereits am31. Jänner
1926, nach Brechts Erstreihung durch die philosophische Fakultät in
Breslau, abernochbevorderdefinitiveRufdespreußischenMinisteriums
anihnergangenwar,schrieberKluckhohn:„[I]ch[werde]allesthunwasin
meinenKräftensteht,umdichhierherzubringen.“275Dassderscheidende
OrdinariusseinenNachfolgerselbstbestimmenwollte,hatteanderWiener
Germanistik Tradition.276 Bei der Nachfolge Brechts entsprach diese
VorgehensweiseabernichtmehrdembiszumBeginndes20.Jahrhunderts
bewährten Muster ,Österreicher – Schüler des Vorgängers – Katholik‘.
Vielmehr waren Brechts erfolgreiche Bemühungen umKluckhohn zum
einen ein erneutes Beispiel seiner wissenschaftlicheHaltung, die auf den
Ausgleich widerstreitender fachlicher Bestrebungen zielte, zum anderen
zeigen sie aber auch die zunehmende Politisierung innerhalb derWiener
Professorenschaft, die fast ausschließlich nach rechts erfolgte.277
Eine der ersten Anstrengungen, die Brecht in dieser Nachfolgeange-
legenheit unternahm, zielte auch gerade darauf ab, seine Professorenkol-
legenanderphilosophischenFakultätvonder,politischenZuverlässigkeit‘
seines Kandidaten, d.h. von dessen ,deutscher Haltung‘ zu überzeugen.
Welches Selbstverständnis und welche Feindbilder die durchweg antise-
mitisch, antidemokratisch, antisozialistisch und reaktionär gesinnteWie-
ner Professorenschaft bereits Mitte der 1920er Jahre kreierte, wird aus
einemBrief Brechts an Kluckhohn deutlich, in dem dieser im Frühjahr
1926über eine von ihmorganisierte konspirative Sitzungberichtete:
In einer langdauernden inoffiziellen Besprechung der mir nahestehenden
nationalen Kollegen (die z.T. durch das Überhandnehmen kosmopolit.-jü-
discheninternation.Pazifismuserschrecktsind),Dopsch,Much,Srbik,Luick,
Kralik, Pfalz, wurde, nachdem m. Vorschläge gutgeheißen, der Sicherheit
wegen verabredet, von dir, demman höchst geneigt ist an 1. Stelle vorzu-
schlagen,eineÄußerungzuerbitten,ausderhervorgeht,daßdunichtmitden
275 Brief vonBrecht anKluckhohn vom31. Jänner 1926;DLAMarbach, Bestand:
PaulKluckhohn.
276 Vgl.Kap. I.1.
277 Vgl. dazuMeissl: Germanistik in Österreich (1981); Taschwer: Hochburg des
Antisemitismus (2015).
I. Die Verfasstheit derWiener
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Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Title
- Germanistik in Wien
- Subtitle
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Author
- Elisabeth Grabenweger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 290
- Keywords
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Category
- Lehrbücher