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Erich Schmidt betonten,69 als „klassischesMuster für die Knappheit des
Stils“ (Touaillon1919, 114–115)bezeichnetwerden.Dabei sei aber,wie
Touaillonbetont,ein„MangelzurQuelledesVorzugs“geworden:DassLa
Roche den epischen Fluss nicht durch theologische, philosophische oder
politische Erörterungen unterbrach, führt Touaillon nämlich darauf zu-
rück, dass es dem „weiblichenGeist“ (Touaillon 1919, 112) noch nicht
möglich war, Konflikte zu abstrahieren. Und auch dass in La Roches
Roman zum ersten Mal „das Seelische so unverkennbar den Kern der
Handlung“bildet, dass tatsächlich voneinem„empfindsamenRoman im
Gegensatz zu den rationalistischen Familienromanen […], bei denen das
familiäreMilieuwichtiger ist alsdasGefühl“ (Touaillon1919,115–116),
gesprochen werden könne, erklärt Touaillonmit geschlechtsspezifischen
Zuschreibungen:SohabeLaRochedenRomanals „Trost fürdeneigenen
Seelenschmerz“, als „Flucht aus demLeben“ geschrieben unddamit „das
Fühlen [zur] wichtigste[n] Grundlage dichterischer Arbeit“ (Touaillon
1919, 116) erhoben.
Eine ähnliche Vorgehensweise verfolgt Touaillon auch beim rationa-
listischen Frauenroman, den sie zunächst in „zwei natürlicheGruppen“,
den rationalistischen Gegenwarts- und den rationalistischen Vergangen-
heitsroman, teilt. Erstgenannter schließe laut Touaillon „unmittelbar an
den rationalistischenMännerroman“an, besitze unter „allenRomanrich-
tungen des 18. Jahrhunderts […] die weitaus größte Zahl von Vertrete-
rinnen“(Touaillon1919,233)undwidmesichausschließlichder„Stellung
desMenschen innerhalbderbürgerlichenFamilie“ (Touaillon1919,234).
Die einzige Autorin, die sich ernsthaft vom Familienmilieu abgewendet
habe, sei Benedicte Naubert gewesen, deren Hauptleistung Touaillon –
trotz des großen Erfolgs ihres GegenwartsromansDie Amtmannin von
Hohenweiler(1787)70–imVergangenheitsroman,alsoinderAusgestaltung
von „Stoffe[n] der Geschichte und Sage“ (Touaillon 1919, 233), sieht.
Naubert,derenAutorschaftbiskurzvorihremTodanonymblieb,71wardie
69 Schneider:DieerstenGrundsätzederschönenKünsteüberhaupt,undderschönen
Schreibart insbesondere (1790), S. 190; Schmidt: Richardson, Rousseau und
Goethe (1875), S. 62.
70 Touaillon zählt denRoman, dessenHandlung Anfang des 18. Jahrhunderts an-
gesiedelt ist, zumGegenwartsroman;nachneuerenDefinitionen,nachdenendie
Romanhandlung des historischen Romans nicht „Selbsterlebtes und Erinnertes“
enthaltendürfe, ist erdemVergangenheitsromanzuzuordnen.Vgl.u.a.Schabert:
Der historischeRoman inEnglandundAmerika (1981), S. 4.
71 Erst 1817nannteKarl Julius Schütz in derZeitung für die eleganteWelt erstmals
Nauberts Namen.Dass sichNaubert „zweiunddreißig Jahre hindurch nicht zur
II. Christine Touaillon
(1878–1928)108
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Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Title
- Germanistik in Wien
- Subtitle
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Author
- Elisabeth Grabenweger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 290
- Keywords
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Category
- Lehrbücher