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findsamkeit besitze dieAutorin hingegen „keinOrgan“ (Touaillon 1919,
404), womit Naubert unter allen deutschen Schriftstellerinnen des
18. Jahrhunderts eineSonderstellungeinnehme.Ganzderunpathetischen
Haltung der Aufklärung entsprechend verwehre Naubert empfindsame
Naturschilderungen ebensowie empfindsameSeelenanalysen; stattdessen
konzentrieresiesichauf„Tatsachen“(Touaillon1919,405),wasabernicht
bedeute, soTouaillon,dassNaubert ein „restlosesVerständnis“ (Touaillon
1919, 391) der Welt für möglich halte. Vielmehr bleibe in Nauberts
Werkenimmerein„unerklärbarerRest“ (Touaillon1919,414),der siezur
„ausgesprochenste[n] Vorläuferin der Romantik“ (Touaillon 1919, 420)
mache. IhreNeuenVolksmärchen derDeutschen (1789–1792) seien „eine
der frühestetenVerkündigungen romantischenGeistes“, in denen bereits
„vorA.W.SchlegelsTheorieundLudwigTiecksPraxis“ (Touaillon1919,
408) Gefühle vom „Standpunkt des Interesses für merkwürdige uner-
klärliche Regungen“ geschildert werden, der „leichte, selbstironisierende
Tondes rationalistischenErzählers […]demTonderSchwermut“weiche
und sowohl der „romantischen Zerrissenheit“ als auch dem „romanti-
sche[n]GefühlderEinheitdesMenschenmitderNatur“gehuldigtwerde.
(Touaillon 1919, 410–411) Auch früheMotive desWunderbaren iden-
tifiziert Touaillon: So spielen in denMärchen „geheimnisvolle[ ] Träu-
me[ ]“ (Touaillon 1919, 412) und „Dämmerzustände“ ebenso eineRolle
wie „dasGrauen inderNatur“und „übernatürliche[ ]Kräfte“ (Touaillon
1919, 414–415). Selbst die „Form“ steige, „wie später so häufig in der
Romantik“, bis zu einer „Dichtung dritter Potenz“ auf, bestehe also aus
„Rahmen, Kernerzählung, Erzählung in der Erzählung, Rahmen“. (Tou-
aillon1919,419)Diesebemerkenswert früheHinwendungzurRomantik
sei lautTouaillondamitzuerklären,dassNaubert–imUnterschiedzuden
meistenAutorenihrerGeneration–73sichnachrationalistischenAnfängen
nicht dem Sturm undDrang und der Empfindsamkeit gewidmet habe,
sondern „unterBeibehaltung aufklärerischerGrundlagenunmittelbar zur
Romantik“ (Touaillon 1919, 421) übergegangen sei.
Nicht zu überschätzende Bedeutung habeNaubert aber auch für die
Erneuerung des historischenRomans im18. Jahrhundert.DerVergleich
mit den zeitgenössischenmännlichenVerfassern vonGeschichtsromanen
hervorzubringen,müssen dieMittel d, e, f angewendetwerden.“Touaillon:Der
deutscheFrauenromandes 18. Jahrhunderts (1919), S. 390 (Anm. 152).
73 Touaillonnennt JohannWilhelmLudwigGleim, JustusMöser, JohannGottfried
Herder,GottfriedAugust Bürger,MalerMüller,WilhelmHeinse, JohannWolf-
gangGoethe und JohannesMüller.
II. Christine Touaillon
(1878–1928)110
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Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Title
- Germanistik in Wien
- Subtitle
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Author
- Elisabeth Grabenweger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 290
- Keywords
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Category
- Lehrbücher