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nurals„sanfte[r]Schmerz“aufsiewirkte. (Touaillon1919,463–464)Der
Natur räumteWolzogen einewesentlich größere Rolle ein als der Ratio-
nalismus, sie begann sie zu beleben, aber nicht mit romantisch-erschre-
ckenden, sondern mit „freundlichen Gestalten“. Insgesamt war ihr die
„Harmonie […]dasobersteGesetz in allenVerhältnissen“,was sichnicht
zuletzt inWolzogens „starke[m]Gefühl für die Formund [ihre]Vorliebe
für edle Bilder“, für die ihr die Antike das Schönheitsideal lieferte, zeige.
(Touaillon 1919, 464–465) Der „ganze künstlerische Umwandlungs-
prozeß, den die Dichterin mit der Wirklichkeit vornimmt“, sei „echt
klassizistisch“:Sointeressierte sienichtdasAlltägliche,ÄußeredesLebens,
sondern dessen „inneres rätselhaftesWesen“, das sie durchAbstraktions-
prozesse, philosophischeBegriffe undden „Grundsatz der idealenFerne“
zufassensuchte.DadurchseiesWolzogengelungen,nichtnureineüberaus
symbolischeWeltzuerschaffen, sonderndenDingendesLebensstetsauch
einenhöheren Sinn zu verleihen. (Touaillon 1919, 466–467)
HinsichtlichdesästhetischenundethischenKonzeptsdesRomans sei,
soTouaillon,SchillersEinflussnicht zuübersehen;überhauptmuteAgnes
vonLilien „wie einBeispiel zu seinerTheorie“an. SchillersÜberlegungen
zurAufgabederKunstalsVeranschaulichungdesSchönenundErhabenen
zeigen sich lautTouaillonvorallemindenFigurenAgnes,Nordheimund
Alban, die Wolzogen als „schöne und erhabene Charaktere in ihren
schönen und erhabenen Handlungen“ zeichnete. Seine doppelte Wir-
kungsbestimmungalsErholungundVeredelunghabedieAutorininsofern
übernommen, als „der sittliche und ästhetische Kern ihres Romans der
Veredlung, seine Gestaltung romanhafter Schicksale der Erholungen“
diene.Ebenso führtTouaillondieKonflikte desRomans auf „denKampf
der sittlichenNaturdesMenschenmit demNaturgesetz imSchillerschen
Sinne“zurück,unddas, „wasSchiller alsBegriff derTugendhinstellt“, sei
dadurchvertreten,dassdieHeldendesRomansdieFähigkeitbesitzen,„aus
jeder Begebenheit Vergnügen zu schöpfen und jeden Schmerz in die
VollkommenheitdesUniversumsaufzulösen“.DerAnlehnunganSchiller
seidie„künstlerischeReinheit ihresRomans“zuverdanken,dernicht„wie
ein Ausschnitt aus dem Leben, sondern wie ein geläuterter Extrakt des
Lebens“wirke,also„einerKunsttheoriezuliebe“einspannungsfreies„Ideal
vonLebenundWelt“darstelle. (Touaillon 1919, 470–471)
In der Geschlechterfrage steheWolzogen, wie auch sonst, „auf dem
Boden desKlassizismus“und der „Schiller-HumboldtschenAuffassung“,
nach der sowohl Mann als auch Frau erst durch die Liebe zu ganzen
Menschen werden. (Touaillon 1919, 472–473) In seiner Rezension des
RomanshuldigteWilhelmvonHumboldt, denTouaillonhier zitiert, der
II.2. Literatur-, Kultur- und Sozialgeschichte 113
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Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Title
- Germanistik in Wien
- Subtitle
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Author
- Elisabeth Grabenweger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 290
- Keywords
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Category
- Lehrbücher