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Forschung„nurihrenpersönlichenBeziehungenzurromantischenSchule“
(Touaillon 1919, 577) verdanke.
Ganzanders fälltTouaillonsUrteilüberKarolineAugusteFischer aus,
derwederzuihrenLebzeitennochinderLiteraturgeschichtenennenswerte
Beachtung geschenkt wurde. Zu Unrecht, wie Touaillon findet, da die
Autorinnichtnur„durchihreEigenart,durchdieKraft ihrerEmpfindung
undDarstellungalleanderendeutschenFrauendes18. Jahrhundertsweit“
übertreffe (Touaillon1919,578), sonderngleichzeitigaucheine„glutvolle
Vorkämpferin der neuenFrauenrechte“ gewesen sei, wie nicht nur ihr li-
terarischesOeuvre, sondern auch ihre feministischeAbhandlungÜberdie
Weiber (1813)zeige. (Touaillon1919,582)BereitsFischers erster,1801in
LeipzigpublizierterRomanGustavsVerirrungenzeichnesich, soTouaillon,
durcheinen„völligneuenGeist“aus,demdie„WeltderTugend“genauso
fernliegewiedie„WeltdersanftenGefühle“.Vielmehrfalledie„Kühnheit
desGrundmotivs“ auf, in dem es nicht wie bisher umdie Beschreibung
eines fertigenoderdieVorgabe eines idealenZustandes gehe, sondernum
die Art undWeise, wie ein Mensch zu dem wird, was er ist. In einer
Entwicklungs- undBildungsgeschichte wird derHeldGustav von seiner
Kindheit bis zu seinemTod–unddarüberhinaus–begleitet.Dabeiwird
selbst die „kühne Schilderung der Leidenschaft und Sinnlichkeit“ nicht
ausgespart, was, wie Touaillon betont, „bei einer Frau an derWende des
18. Jahrhunderts noch ein unerhörtes Wagnis“ gewesen sei. (Touaillon
1919,584–585)Darüberhinauszeichnesichder–durchdenBerichtdes
Protagonisten und dessen Freundes – in zweifacher Ich-Perspektive ver-
fassteRomandurchdieKnappheitderDarstellung,das rascheTempo,die
häufigenDialoge unddie gewandte Sprache aus.
Fischers zweiter Roman Die Honigmonathe (1802) nimmt seinen
Ausgang ineinemvehementenProtestgegenKarolinevonWobesers1795
erschienenenErfolgsromanElisa,oderdasWeibwiees seyn sollte, indemdie
bedingungsloseUnterordnung der Frau unter denMann gefordert wird.
Bemerkenswert und beispiellos findet Touaillon die Konzentration des
Romansauf„innereSchicksale“undden„NutzenderLeidenschaften“,die,
so Touaillon, zum erstenMal im deutschen Frauenroman nicht nur die
,sanften‘Gefühle verdrängen, sondern ohne die sich vor allem auch kein
moralischesBewusstsein entwickelnkönne. (Touaillon1919,588)Damit
verabschiede Fischer ein Frauenideal, „in welchemWeichheit gleich Tu-
gend,HärtegleichLaster“gewesensei,undstelle stattdessenein„gesundes
Gleichgewicht zwischenEgoismusundAltruismus“her. (Touaillon1919,
591–592)AuchhabeFischers Sprachenichts vonder „Weitschweifigkeit
undSchwerfälligkeit“derLiteraturdes 18. Jahrhunderts, sondern zeichne
II. Christine Touaillon
(1878–1928)116
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Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Title
- Germanistik in Wien
- Subtitle
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Author
- Elisabeth Grabenweger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 290
- Keywords
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Category
- Lehrbücher