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sich durch „Witz und Ironie“, „bewunderungswürdige Prägnanz“ und
einen „vollendete[n] Satzrhythmus“aus. (Touaillon 1919, 593)
Fragtmannachder literaturgeschichtlichenEinordnung vonFischers
Romanen, sokönnen lautTouailloneinzelneAnklängeandieAufklärung
(„die Art der sozialen Betrachtung“), den Rationalismus („die logische
Schärfe […], die kluge Beschränkung ihrerHandlung“) und denKlassi-
zismus(dasBedürfniseinzelnerFigurennachinnererHarmonie)gefunden
werden. (Touaillon1919,603)InsgesamtweisedasWerkderAutorinaber
in eine andere Richtung, nämlich in die Jean-Jacques Rousseaus. Von
Rousseau habe Fischer die große Bedeutung des Gefühls gegenüber der
Vernunft,die „AblehnungdesMitleids“,dieDarstellungderLeidenschaft
und der Sinnlichkeit sowie das „Eintreten inmedias res“, die „Sicherheit
der Exposition“ und die „glutvolle, hinreißende Sprache“ übernommen,
die siegleichzeitig auchmitdemSturmundDrang inVerbindungbringe.
(Touaillon 1919, 604–605) Besonders ausgeprägte Übereinstimmung
finde sichabermitderRomantik,mitderFischerdieAblehnung logisch-
gesicherter Erklärungen, die Bedeutung ungewisser Vorgänge, die
schwärmerisch-schwermütige Grundstimmung und die als unbegreifbar
undschwankenddargestelltenMenschen,denendasUnbewusstenäherals
dasBewusstesei,verbinde.DieNaturseibei ihr,wiebeidenRomantikern,
unergründlich,unbarmherzigundübermächtigzugleichundtrotzdemdie
einzige„ErleichterungimtiefstenSchmerz“(Touaillon1919,608).Ebenso
teile sie mit den Romantikern die freie und unbürgerliche Auffassung
zwischenmenschlicherBeziehungensowiediegroßeBedeutung,diesieder
Kunst als Lebensgrundlage beigemessen habe. Doch auch, wenn Fischer
alle literarischen Strömungen ihrer Zeit in sich aufgenommen habe und
dichterisch zu gestalten im Stande gewesen sei, so falle vor allem ihre
„selbständige[ ]künstlerische[ ]Kraft“ insAuge,die ihrerlaubthabe,nicht
nur weit über die Romantik, sondern überhaupt über ihre Gegenwart
hinauszugelangen.Touaillonsieht inFischereineentschiedeneVorläuferin
des modernen deutschen Romans, betont ihre unerschrocken geäußerte
demokratischeGesinnung, die Komplexität ihrer Figuren, ihre „eugene-
tischenForderungen“ (Touaillon 1919, 610–611) und vergleicht siemit
JaquesDalcroze undGerhartHauptmann. (Touaillon 1919, 614)
Fischers Ansichten in der Frauen- bzw. Geschlechterfrage schätzt
Touaillonals ausgesprochen fortschrittlichein; so sei siedie erstedeutsche
Schriftstellerin gewesen, „die es wagte, Ansichten überMann und Frau
auszusprechen und künstlerisch zu verkörpern, welche nicht weniger re-
volutionär als die romantischenAnsichtenwaren“ (Touaillon1919,622).
DemMann trete sie durchweg in „Feindschaft“ (Touaillon 1919, 614)
II.2. Literatur-, Kultur- und Sozialgeschichte 117
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Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Title
- Germanistik in Wien
- Subtitle
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Author
- Elisabeth Grabenweger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 290
- Keywords
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Category
- Lehrbücher