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lisiertwerdensollte,83 istdiegroßeAufmerksamkeit,dieSchriftstellerinnen
am Ende des 19. Jahrhunderts zuteilwurde, durchaus bemerkenswert.
Weniger bemerkenswert erscheint sie jedoch, wennman den Status der
Autoren unddamit den Institutionalisierungsgrad vonLiteraturgeschich-
ten betrachtet: Keiner der genannten Verfasser hatte eine nennenswerte
akademische Position inne. Einzig Robert Prutz bekleidete ab 1849
kurzfristig eine Professur für Literaturgeschichte inHalle, gab diese aber
aufgrund eines gegen ihn angestrengten Disziplinarverfahrens nach we-
nigen Jahrenwieder auf. Julian Schmidt undRudolf Gottschall gehörten
überhauptnichtdemKreisderUniversitätslehreran,sondernsahensichals
Publizisten und standen damit imZentrumder literarischenÖffentlich-
keit. Dementsprechend verstanden sie ihre Tätigkeit auch nicht als Ver-
tretung eines Fachs, sondern als eine öffentliche Aufgabe, alsDialogmit
dembreitenPublikum.84
Die „Einheit von Literaturgeschichte und Literaturkritik“85 und der
damiteinhergehendepublizistischeCharakterderLiteraturhistoriographie
lösten sich auf, als dieGermanistik als universitäres Fach sichnichtmehr
nur aufdie „Herstellung altdeutscherTexte“86konzentrierte, sondern sich
auch als Neuere deutsche Literaturgeschichte zu institutionalisieren und
professionalisierenbegann.87WardieBehandlungneuererLiteraturbislang
der außerakademischen gelehrten Gesellschaft vorbehalten, so bean-
spruchte ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die universitäre
Fachwissenschaft diesenUntersuchungsgegenstand für sich.88Wesentlich
fürdieProfilierung„der,Neugermanistik‘alseinesselbstständigenZweiges
derUniversitätsphilologie“wardabeidie „Abgrenzungvonder ästhetisch-
kritischenundderphilosophierendenRedeüberLiteratur“.89Dabeigaltes,
sich von den Verfassern der große Synthesen bildenden Literaturge-
83 NämlichdurchFriedrichs:DiedeutschsprachigenSchriftstellerinnendes18.und
19. Jahrhunderts (1981).
84 Zur Institutionalisierung der deutschen Literaturgeschichte vgl. Hohendahl: Li-
terarischeKultur imZeitalter des Liberalismus (1985), bes. S. 266–271.
85 Hohendahl: LiterarischeKultur imZeitalter des Liberalismus (1985), S. 267.
86 Michler: „DasMateriale für einen österreichischenGervinus“ (1995), S. 188.
87 Zur Einrichtung des ,neueren Fachs‘ an denUniversitäten vgl.Dainat: Von der
Neueren Deutschen Literaturgeschichte zur Literaturwissenschaft (1994); Wei-
mar:Geschichte der deutschenLiteraturwissenschaft bis zumEndedes 19. Jahr-
hundert (1989), S. 429–484.
88 Dieser Entwicklung trug dieUniversitätWien als erste auch institutionell Rech-
nung, wo, wie erwähnt, 1868 ein zweiter ordentlicher Lehrstuhl fürDeutsche
Sprache undLiteratur eingerichtetwurde.
89 Michler/Schmidt-Dengler:Germanistik inÖsterreich (2003), S. 200.
II.3. Kanon undGeschlecht 123
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Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Title
- Germanistik in Wien
- Subtitle
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Author
- Elisabeth Grabenweger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 290
- Keywords
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Category
- Lehrbücher