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Tendenz fungierten weibliche Romangestalten, die gegen Ende des
18. JahrhundertswahrlichKonjunktur hatten.116
Mit der nunmehr klarenUnterscheidung zwischenmännlichen und
weiblichen Eigenschaften war eine Grundlage geschaffen, die der litera-
rischenÖffentlichkeit dieMöglichkeit bot, gegenüber der neu hinzutre-
tenden Gruppe schreibender Frauen eine autoritäre Kontrollfunktion
auszuüben.DieseKontrollfunktion umfasste sowohl die Produktion und
Publikation der Texte von Frauen als auch derenRezeption.Das Etikett
,Frauenliteratur‘wurde dabei zu einem Instrument, umdenHandlungs-
spielraumvonAutorinnenzubeschränkenundumihrSchreibenaneinen
vonder patriarchalischenLiteratur- undKulturpolitik diszipliniertenOrt
zu verweisen. Die wohl berühmteste Rezension, die diese Zuordnungen
deutlich ausspricht, ist die Sammelbesprechung von drei von Frauen
verfasstenRomanen,die JohannWolfgangGoethe1806 inder Jenaischen
Allgemeinen Literaturzeitung veröffentlichte. Darin empfahl Goethe den
„ÄußerungeneinerweiblichenFeder“immerdieÜberprüfungdurcheinen
männlichenAutor,
damitalleUnweiblichkeitenausgelöschtwürdenundnichts ineinemsolchen
Werke zurückbliebe, was dem natürlichen Gefühl, dem liebevollenWesen,
den romantischenherzerhebendenAnsichten, der anmuthvollenDarstellung
und allemdemGuten,wasweibliche Schriften so reichlich besitzen, sich als
ein lästigesGegengewicht anhängendürfte.117
Für,hoheLiteraturmitKunstanspruch‘kamenRomanevonFrauenschon
allein aufgrund ihres moralischen und didaktischen Charakters nicht in
Frage,weshalbsieausdemKanonderSchulenundUniversitätenfielen.118
InRezensionenwurden sie–wiebeider zitiertenKritikGoethes–häufig
nicht einzeln, sondern gesammelt besprochen119 und in den populären
Literaturgeschichten,dieauchweiterhinLiteraturvonFrauenaufnahmen,
wurden sie nicht in den Gang der dargestellten Geschichte integriert,
sondern in eigenen Kapiteln zusammengefasst und isoliert: bei Robert
Prutzunter„DichtendeFrauen“,beiGeorgWeberunter„Frauenliteratur“
116 Dafür spricht auch die große Anzahl an Romanen aus dieser Zeit, deren Titel
einfach aus einemweiblichen (Vor-)Namenbesteht.
117 Goethe: Anonym, Bekenntnisse einer schönen Seele; Anonym, Melanie das
Findelkind; EleutherieHolberg,WilhelmDumont [Rez., 1806] (1901), S. 382
undS. 383–384.
118 Vgl.Heydebrand/Winko:Geschlechterdifferenzund literarischerKanon (1994),
S. 138–139undS. 143–145.
119 Heydebrand/Winko: Geschlechterdifferenz und literarischer Kanon (1994),
S. 103. II. Christine Touaillon
(1878–1928)128
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Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Title
- Germanistik in Wien
- Subtitle
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Author
- Elisabeth Grabenweger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 290
- Keywords
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Category
- Lehrbücher