Page - 143 - in Germanistik in Wien - Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
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Ende“15, als „große[n] Zertrümmerer einerWelt, derenKräfte erschöpft
sind“16; in seinenDramenhabe Ibsennurnoch„[v]erkürzteMenschen“17
gezeichnet, mit denen er Zeugnis vomVerfall derWerte, vom „Verwe-
sungsstadium einer Kultur“18 ablege. In Die Anarchie im Bürgertum
wendete sie dasselbeVerfahren auf deutschsprachigeDramendes19. und
frühen20. Jahrhunderts an.
Die zeitgenössische Beurteilung der SchriftenMarianne Thalmanns
spannte sich von hoher fachlicher Wertschätzung bis hin zu wissen-
schaftlicher Diskreditierung.19 Ihren Ursprung hat diese polarisierende
undwidersprüchlicheEinschätzungvonThalmannsArbeiten im– inden
1920er und frühen 1930er Jahren (auch als Generationenproblem) am
Höhepunkt seinerErschütterung angekommenen–Selbstverständnis der
Disziplin, dermit der Auflösung der unbedingten philologischenOrien-
tierungdesFachsder fixeBezugspunktabhandengekommenwar.Wiedie
Arbeiten Thalmanns im Kontext der zeitgenössischen Diskussionen des
FachsverortetwerdenkönnenundwelcheErklärungsmusterThalmannim
Einzelnen entwarf, wird im Folgenden exemplarisch an zwei thematisch
und rezeptionsästhetisch durchweg unterschiedlichen Texten dargestellt:
15 Thalmann:Henrik Ibsen, einErlebnis derDeutschen (1928), S. 2.
16 Thalmann:Henrik Ibsen, einErlebnis derDeutschen (1928), S. 25.
17 Thalmann:Henrik Ibsen, einErlebnis derDeutschen (1928), S. 47.
18 Thalmann:Henrik Ibsen, einErlebnis derDeutschen (1928), S. 63.
19 Einige Beispiele: In Bezug auf Probleme derDämonie in LudwigTiecks Schriften
sprach Hubert Rausse von einer „eingehende[n] und überlegene[n] Untersu-
chung“, Hermann Glockner davon, dass „[d]ie Verfasserin ihrem Gegenstand
methodisch-darstellerisch nicht gewachsen“ sei. Rausse: Marianne Thalmann,
ProblemederDämonie inLudwigTiecksSchriften[Rez.](1919/1920),Sp.1390;
Glockner: Marianne Thalmann, Probleme der Dämonie in Ludwig Tiecks
Schriften [Rez.] (1924), S. 126. – Die Studie Gestaltungsfragen der Lyrik be-
zeichnete Curt Hille als „methodisches Musterbeispiel für derartige kritische
Stiluntersuchungen“,RichardNewaldhingegenmeinte,dassdas„Werk“nichtnur
„keinen Anspruch auf strengeWissenschaftlichkeit machen darf“, sondern auch
dass die „Verfasserin für Philologie keinOrgan, für die historische Entwicklung
kein Verständnis“ habe und ihre „Technik“ ein „Geheimnis“ bleibe, das von
„Wünschelruten“ geführt zu sein scheint. Hille: Marianne Thalmann, Gestal-
tungsfragen der Lyrik [Rez.] (1926), Sp. 341; Newald: Marianne Thalmann,
Gestaltungsfragen der Lyrik [Rez.] (1926), S. 114–115. – ÜberHenrik Ibsen
schriebHeinrichLützeler, dassThalmanndenAutor „[m]it einer staunenswerten
Kraft desVerstandes unddesWortes,mit scharfemBlick für den typischenEin-
zelzug und die Ausdruckwerte der Form“ begreife, Ernst Alker wiederum stellte
fest,dass „[d]ieArt ihrerArbeit“Thalmannzu„einergewissenEinseitigkeit“, zum
„Dogma“ nötige. Lützeler: Marianne Thalmann, Henrik Ibsen [Rez.] (1928),
S. 221;Alker:MarianneThalmann,Henrik Ibsen [Rez.] (1929), S. 487.
III.Marianne Thalmann (1888–1975) 143
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Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Title
- Germanistik in Wien
- Subtitle
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Author
- Elisabeth Grabenweger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 290
- Keywords
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Category
- Lehrbücher