Page - 188 - in Germanistik in Wien - Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
Image of the Page - 188 -
Text of the Page - 188 -
der Forscherpersönlichkeit von JacobGrimmwurden nämlich nicht von
Höfler selbst entworfen, sondern waren – auch wenn Höfler ihn mit
keinemWort erwähnte – über Scherer vermittelteTopoi derGrimm-Re-
zeption, die dessenAuffassung alsGründungsfigur derGermanistik über
Jahrzehntehinwegprägten.DieseTopoilauteten:DeutschePhilologieund
Altertumskunde als Liebe zur Nation; Jacob Grimm als „Genie der
Combination“ versusCarl Lachmann als „Genie derMethode“ (d.h. der
exaktenphilologischenHerangehensweise);24Beschäftigungmitdeutscher
MythologieundderGeschichtederdeutschenSprachealsHistoriographie
des deutschenVolkes.25
Gleichzeitig und damit zusammenhängend verweist derNachruf auf
den disparaten Zustand der Altgermanistik im ersten Drittel des
20. Jahrhunderts. Muchs Förderer an der Wiener Germanistik – sein
Doktorvater, Habilitationsgutachter und der Kollege, derMuch institu-
tionell erst ,gemacht‘hat–warRichardHeinzel,dervon1873bis1905in
Wien den planmäßigen Lehrstuhl für die ältere Abteilung innehatte.
Heinzel konnte sich aber ganz im Unterschied zu Much mit den
„[r]omantische[n], nationalistische[n] Neigungen, wie sie sich bei den
norddeutschen Begründern der deutschen Philologie finden“26, nie an-
freunden.Vielmehr„protestierte“er,wie Josef Körner1935(alsonurzwei
JahrevordemNachrufHöflers) festhielt, „jeundjedagegen,daßmanden
Beruf des Germanistenmit germanischemNationalgefühl in Beziehung
setze;erwolltenicht ,dieWissenschaftzumPatriotismusmißbrauchen‘“.27
AufdieseWeisewarHeinzel,soKörnerweiter,auchkeine„schwärmerische
Andacht […] zum deutschen Altertum“ gegeben, er habe nicht „große
Zusammenhänge“ hergestellt, „wo ihm kein vollständigesMaterial vor-
lag“.28Vielmehr, und hier ein weiterer Punkt der Unterscheidung, habe
Heinzel inAnlehnung anWilhelmScherer „seineArbeitsweise gerne der
naturwissenschaftlichenMethode analog gestaltet“, aber nicht wie dieser
„im allgemeinen doch nur die historische Methode auf die Philologie
übertragen“, sondern tatsächlich „die naturwissenschaftlichenMethoden
24 „Lachmann ist einGenie derMethodewie JacobGrimmeinGenie derCombi-
nation.“ Scherer: JacobGrimm(1865), S. 49. – Inder zweitenAuflage heißt es:
„Er [Lachmann,E.G.]war einGenie derKritikwie JacobGrimmeinGenie der
Combination.“ Scherer: JacobGrimm(1885), S. 90.
25 ZuWilhelm Scherers Grimm-Bild und dessen Nachwirkungen vgl.Wyss: Die
wildePhilologie (1979), v.a. S. 1–22.
26 Körner:Deutsche Philologie [1935], S. 71.
27 Körner:Deutsche Philologie [1935], S. 72.
28 Körner:Deutsche Philologie [1935], S. 71.
IV. LilyWeiser
(1898–1987)188
back to the
book Germanistik in Wien - Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)"
Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Title
- Germanistik in Wien
- Subtitle
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Author
- Elisabeth Grabenweger
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 290
- Keywords
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Category
- Lehrbücher